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Abgeordnetenhauswahl am 18. September

01.September 2016 | Redaktioneller Beitrag |

Unsere Fragen an Berliner Spitzenkandidaten

Abgeordnetenhauswahl am 18. September

 

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin ist mit rund 10.000 Mitgliedern die größte jüdische Gemeinde Deutschlands. Wie beurteilen Sie die Vielfalt des heutigen jüdischen Lebens in Berlin?

Michael Müller, SPD: Berlin ist eine Stadt der Vielfalt, auf die wir stolz sind – und Berlin ist eine Stadt des vielfältigen jüdischen Lebens. Es ist nicht selbstverständlich, dass die Jüdische Gemeinde zu Berlin so einen Zuwachs in den vergangenen Jahrzehnten erlebt hat. Gerade Heinz Galinski hat Berlin viel zu verdanken. Unsere Stadt profitiert von den vielen neu zuziehenden Menschen, insbesondere aus Israel, die sich hier schnell zuhause fühlen. Berlin gilt bei jungen Menschen in Tel Aviv als Hotspot – und umgekehrt ist es auch so. Das ist eine tolle Entwicklung. Vor allem den Austausch zwischen den Gründerszenen Berlin und Tel Aviv fördern wir auch wirtschaftspolitisch.

Frank Henkel, CDU: Wenn ich an das jüdische Leben in Berlin denke, denke ich beispielsweise an das Jüdische Filmfestival, an die Ausstellungen im Jüdischen Museum, aber auch an die jüdischen Restaurants in unserer Stadt. Allein das kulturelle Angebot ist groß und ein Zeichen dafür, dass das jüdische Leben ein bereichernder und nicht mehr wegzudenkender Teil Berlins geworden ist. Darüber freue ich mich.

Bettina Jarasch, GRÜNE: Wir Grüne sind froh, dass die jüdische Kultur wieder fest zu Berlin gehört. Angesichts der besonderen Rolle Berlins im Dritten Reich ist das nicht selbstverständlich! Die Jüdische Gemeinde hat daran einen großen Anteil, dass Berlin heute als weltoffene, moderne und lebenswerte Stadt gilt. Mit der Aufnahme russischer Migrantinnen und Migranten hat sie in den letzten Jahren einen enormen Beitrag zur Integration geleistet. Wir freuen uns zudem über immer mehr neue Synagogen-Gemeinden in der Stadt, die das kulturelle und religiöse Leben bereichern.

Klaus Lederer, DIE LINKE: Ich beobachte mit Freude, dass die jüdische Gemeinschaft in Berlin die am schnellsten wachsende in der Welt ist. In Berlin haben die Nazis mit viel Rückhalt der Bevölkerung die Auslöschung jüdischer Menschen und der europäischen jüdischen Kultur geplant und organisiert. Dass sich jüdische Menschen dennoch entscheiden, hier zu leben, kann zwar die Vielfalt und Kraft jüdischen Lebens vor dem Holocaust nicht wieder zurückbringen. Es ist aber ein großartiges Zeichen jüdischer Selbstbehauptung und bringt Berlin einen wichtigen Teil seiner Kulturgeschichte zurück.

Jüdisches Leben in Berlin ist heutzutage zum Glück nicht vom »Leben in Berlin« zu trennen. Es ist selbstverständlicher Bestandteil im Alltagsleben der Berlinerinnen und Berliner.

 

 

Wie möchte Ihre Partei das weitere Wachstum jüdischen Lebens in Berlin fördern?

Michael Müller, SPD: 1994 haben wir den Staatsvertrag mit der Jüdischen Gemeinde geschlossen und damit den Willen des Landes Berlin bekräftigt, das vielfältige jüdische Leben in Berlin zu fördern und zu stärken. Vor allem die SPD hat sich in der Tradition von Willy Brandt und Klaus Schütz – um zwei wichtige Förderer jüdischen Lebens in Berlin zu nennen – immer zum Wiedererstarken jüdischen Lebens in der Stadt bekannt. Und dies gilt heute nicht weniger als damals. Berlin lebt auch von der Vielfalt unterschiedlicher Religionen. Deshalb machen wir uns dafür stark, auch jüdische Institutionen wie Synagogen, Schulen und Kindergärten zu fördern.

Frank Henkel, CDU: Nach wie vor gibt es Vorurteile, Hass und Gewalt gegenüber Menschen, die sich als Juden zu erkennen geben. Die CDU sagt daher entschlossen dem Antisemitismus den Kampf an. So haben die Sicherheitsbehörden unter meiner Führung verboten, auf der Alkuds-Demonstration am 2. Juli für die Hisbollah zu werben und Kennzeichen, Symbole oder Embleme dieser Organisation zu zeigen. Außerdem habe ich angeordnet, konsequent gegen Hetzparolen vorzugehen. Wer die Vernichtung eines ganzen Volkes propagiert und Krieg und Gewalt gutheißt, missbraucht das Versammlungsrecht.

Bettina Jarasch, GRÜNE: Berlin ist für Menschen aus aller Welt ein Sehnsuchtsort, weil es offen und tolerant ist. Wir Grüne tun alles dafür, dies zu bewahren – insbesondere in Zeiten, in denen Rechtspopulisten mit hetzerischen Parolen Stimmung gegen unser friedliches Zusammenleben machen. Der Kampf gegen Antisemitismus und der konsequente Schutz jüdischen Lebens ist für uns Grüne von zentraler Bedeutung. Wir müssen dafür sorgen, dass sich Jüdinnen und Juden überall offen und sicher bewegen können. Berlin muss ein guter Ort für jüdisches Leben bleiben.

Klaus Lederer, DIE LINKE: Als Politiker pflege ich stetigen Kontakt zur Jüdischen Gemeinde, nicht nur bei Gedenkveranstaltungen. Erinnerungs- und Mahnungskultur zu leben ist das Eine. Besondere Verpflichtung aus dem Geschehenen ist die Stärkung und Förderung des jüdischen Lebens in Berlin. Ich bin froh, dass am Abraham-Geiger-Kolleg – auch durch uns unterstützt – wieder Rabbinerinnen und Rabbiner ausgebildet werden, dass Kinder und Jugendliche in jüdischen Einrichtungen lernen, dass jüdische Kultur in Berlin eine besondere Förderung erfährt. Diese Unterstützung muss allerdings verlässlich gewährleistet sein. Aber auch privates Engagement ist wichtig. Die Ausstellung des großartigen Fotografen Rudi Weissenstein im Centrum Judaicum habe ich persönlich mit unterstützt.

 

Seit Jahren kommen Umfragen und Studien zu einem ähnlichen Ergebnis: ca. 20 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen hegen antisemitische Vorurteile. Immer wieder werden in Berlin Menschen, die durch das Tragen der Kippa als Juden erkennbar sind, tätlich angegriffen. Auch viele der neuen Migranten bringen antijüdische Vorurteile mit, welche in ihren Herkunftsgesellschaften vorherrschen. Was plant Ihre Partei, um dieser alarmierenden Entwicklung entgegenzutreten?

Michael Müller, SPD: Diese Studien betrachten wir schon länger mit Sorge. Antisemitismus scheint zunehmend eine gesellschaftliche Akzeptanz durch die erstarkten rechtskonservativen, nationalistischen und rechtsradikalen Kreise zu bekommen. Ebenso beobachten wir mittlerweile entsprechende Aktivitäten von islamistischen Gruppen. Für uns ist klar: Straftaten müssen konsequent verfolgt werden. Aber auch die Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus wollen wir stärken. Geflüchteten vermitteln wir in Sprach- und Integrationskursen unsere Grundwerte wie Religionsfreiheit. Die Basis unseres Zusammenlebens bildet unser Grundgesetz und das ist nicht verhandelbar.

Frank Henkel, CDU: Die Basis für das friedliche Zusammenleben ist die Werteordnung des Grundgesetzes. Dazu gehört auch die Religionsfreiheit. Hier machen wir keine Kompromisse. Wir erwarten von den Menschen, sich an Recht und Gesetz zu halten. Wer dies nicht tut, muss mit Konsequenzen rechnen.

Bettina Jarasch, GRÜNE: Wir Grüne beobachten die Entwicklung sehr genau und sind mit den Sicherheitsbehörden und auch mit den jüdischen Organisationen und Akteuren im engen Austausch. Wir wissen, dass sich viele Jüdinnen und Juden sorgen, weil viele der Geflüchteten aus Ländern kommen, in denen Antisemitismus Alltag ist. Deshalb treten wir Antisemitismus bei Geflüchteten ebenso energisch entgegen wie Anfeindungen aus der vermeintlichen Mitte unserer Gesellschaft. Das muss schon in den Integrationskursen Thema sein. Die meisten antisemitischen Straftaten weisen aber nach wie vor einen rechten Hintergrund auf. Unfassbar, dass CDU-Innensenator Frank Henkel dieses Thema nicht interessiert. Wir sind überzeugt, dass die Polizei alles tut, um die Täter zu ergreifen. Oftmals hapert es aber schlichtweg daran, dass es nicht genügend Einsatzkräfte auf der Straße gibt. Das wollen wir Grüne ändern, damit die Polizei in den Kiezen ansprechbar ist. Und wir setzen wir auf gezielte Bildungsarbeit – und die beginnt in der Schule. Es ist eine Schande, dass der rot-schwarze Senat entsprechende Programme vernachlässigt. Diese wären gerade jetzt nötig. Wir wissen, dass sich viele Jüdinnen und Juden sorgen, dass nun viele Menschen aus Ländern kommen, in denen Antisemitismus Alltag ist. Deshalb treten wir Antisemitismus bei Geflüchteten ebenso energisch entgegen wie Anfeindungen aus der vermeintlichen Mitte unserer Gesellschaft.

Klaus Lederer, DIE LINKE: Politisch tun wir das, was leider immer noch nötig ist. So steht die Sicherheit jüdischen Lebens und die Gewährleistung dieses Schutzes für uns regelmäßig auf der Tagesordnung. Es ist ein dramatischer Zustand, dass moderne Formen des Antisemitismus in der Mehrheitsgesellschaft wie auch in manchen migrantischen Communities eine solche Verbreitung erfahren.

Ich möchte das, gerade weil ich für wachsende Ängste jüdischer Menschen in Berlin großes Verständnis habe, ausdrücklich nicht zuallererst festmachen an der gewachsenen Zahl von Menschen mit muslimischem Glauben. Das hieße pauschalisierende Verdächtigungen auszusprechen und all die rechtsextremen Straftaten und Übergriffe auszublenden. Für Antisemitismus gibt es keinerlei Entschuldigung. Antisemitische Einstellungsmuster und Praktiken in der Gesellschaft müssen ohne Ansehen der Personen und ihres Hintergrunds geächtet werden, mit aller Kraft.

Ich will, dass Jüdinnen und Juden ohne Angst vor Diskriminierung oder körperlicher Gewalt durch die Straßen gehen können. Ausgrenzung beginnt da, wo wir von anderen und uns sprechen. Aber wir werden nur friedlich zusammen leben können, wenn wir uns klar machen, dass es nur im Miteinander eine Zukunft für uns alle gibt. Wenn wir diesen Prozess nicht ernsthaft und voller Gewissenhaftigkeit angehen, wird es nichts.  

 

Bei vielen islamistischen Terroranschlägen in Europa waren auch jüdische Ziele betroffen, zum Beispiel in Toulouse, Brüssel, Paris, Kopenhagen. Laut Angaben des Verfassungsschutzes gibt es derzeit etwa 360 gewaltbereite Salafisten allein in Berlin. Außerdem sind mehr als 100 Berliner in das Kriegsgebiet in Syrien und Irak gereist, um dort zu kämpfen. Die Hälfte von ihnen soll bereits wieder zurückgekehrt sein. Die Gefahr für jüdische Einrichtungen in der Hauptstadt ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Basierend darauf erwarten die Gemeindemitglieder eine sichtbare Anpassung der Sicherheitsmaßnahmen an die aktuelle Gefahrenlage. Wird sich Ihre Partei dafür einsetzen?

Michael Müller, SPD: Wir kennen die Gefahr, die durch den islamistischen Terror ausgeht. Deshalb sind auch die finanziellen Mittel erhöht worden, um z.B. die Polizei und den Verfassungsschutz personell besser auszustatten. Auch auf Bundesebene wurde die Terrorbekämpfung stärker in den Fokus genommen. Es ist schlimm, dass wir jüdische Einrichtungen nach wie vor mit hohem Aufwand schützen müssen. Bereits durch den früheren SPD-Innensenator Erhart Körting wurde mit der jüdischen Gemeinde eine Sicherheitsvereinbarung abgeschlossen. Die Sicherheitsmaßnahmen werden eng abgestimmt. Wir werden die hohen Sicherheitsvorkehrungen aber niemals als Normalität hinnehmen.

Frank Henkel, CDU: Angesichts der gestiegenen Herausforderungen für unsere Sicherheitskräfte braucht unsere Polizei die bestmögliche Ausstattung. Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode bereits das Personal erhöht und die technische Ausstattung verbessert. Diese erfolgreich eingeleitete Trendwende  wollen wir fortsetzen. Deshalb machen wir uns für mindestens 700 zusätzliche Stellen bei der Polizei stark. Außerdem muss der Hauptstadtvertrag, der die Finanzierung der hauptstadtbedingten Aufgaben regelt, an die veränderte Situation angepasst werden. Statt der jetzigen ca. 60 Millionen Euro pro Jahr ist eine dreistellige Millionensumme erforderlich, damit die Polizei den Aufgaben gerecht werden kann, die ihr aufgetragen wurden.

Bettina Jarasch, GRÜNE: Es steht völlig außer Frage, dass Schutzmaßnahmen ständig an die jeweilige Gefahrenlage angepasst werden müssen. Das reicht aber nicht allein. Wir müssen auch islamistische Rückkehrer aus Kriegsgebieten in den Fokus nehmen. Wir setzen darauf, dass Polizei wie Staatsanwaltschaft gegen diese Personen mit besonderem Engagement vorgehen und alle zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mittel ausschöpfen. Und wir müssen Jugendliche besser vor Radikalisierung schützen. Es geht um unser Zusammenleben.

Klaus Lederer, DIE LINKE: Der Schutz und die Sicherheit jüdischen Lebens in Berlin haben für uns Priorität. Das ist ganz klar unsere Verantwortung. Eine Einschränkung jedoch aus Sicherheitsgründen bis zur Aufgabe eines freien und vielfältigen jüdischen Lebens wäre nicht der richtige Weg, sondern eine Bankrotterklärung der offenen Gesellschaft. :

Langfristig ist die beste und wichtigste Strategie zur Gewährleistung der Sicherheit jüdischen Lebens in Berlin eine Verankerung von Werten wie gegenseitigem Respekt, Solidarität und Friedfertigkeit.