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Antisemitismus hat keinen Platz in Berlin – oder doch?

01.Juni 2023 | Beiträge – jüdisches berlin | Gemeinde, Gesellschaft

Nach einer antisemitischen Demonstration im April 2022 twitterte Bundesinnenministerin Nancy Faeser: »Für Judenfeindlichkeit gibt es in unserer Gesellschaft keinen Platz.« Ist dem so? Kann man dies angesichts von über zwei antisemitischen Vorfällen, die alleine in Berlin täglich vorkommen, als gegeben ansehen?

Die Meldungen, die bei der RIAS (Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus) Berlin eingehen, sprechen seit Jahren eine andere Sprache. Auf der Pressekonferenz am 10. Mai in der Oranienburger Straße stellte der Leiter von RIAS Berlin, Benjamin Steinitz, in seinem Bericht für 2022 klar: Judenhass gehörte weiterhin zum Alltag Berliner Jüdinnen und Juden.  Die antisemitischen Angriffe ereigneten sich auf der Straße, im öffentlichen Nahverkehr, an Gedenkorten oder auf Gedenkveranstaltungen, in Cafés, in Schulen, vor allem aber in den sozialen Medien, dem häufigsten »Tatort«. Die TOP-Bezirke sind den Angaben von RIAS zufolge Mitte, Pankow und Charlottenburg-Wilmersdorf, gefolgt von Neukölln und Kreuzberg-Friedrichshain.
Darüber hinaus ist unverändert festzustellen, dass in öffentlichen Diskursen Antisemitismus von der Mehrheitsgesellschaft immer noch relativiert, bagatellisiert oder gar negiert wird. So habe ich es selbst bei einem Gesprächsabend erlebt, als ich über Antisemitismus bei der documenta 15 referierte. Obwohl Bilder sehr stark an die des nationalsozialistischen Hetzblattes »Der Stürmer« erinnerten, bestritten Anwesende den Judenhass, warfen mir stattdessen Zensur vor. Man sprach viel mehr über den Antisemitismus-Vorwurf als über Antisemitismus selbst. Zu keinem Zeitpunkt wurde erörtert, wie sich in einem Land, in dem so gut wie keine Juden leben, antisemitische Ressentiments ausbreiten konnten.  Auch terrorverherrlichende Videos wie »Tokyo Reels«wurden, trotz mehrerer Hinweise darauf, von den Kuratoren der documenta unbeanstandet gelassen. Schon Kurt Tucholsky hat festgestell: »In Deutschland gilt derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als derjenige, der den Schmutz macht.«
Und als ob sich Sisyphos im Hamsterrad dreht, wiederholt sich dieses Jahr die gleiche Debatte anlässlich der Konzerte von Roger Waters. Wenn denn Antisemitismus hier keinen Platz habe, wie Frau Faeser meinte, wieso sind dann dessen Konzerte nahezu ausverkauft?
Sigmount Königsberg, Antisemitismus-Beauftragter der Jüdischen Gemeinde zu Berlin

Der Bericht online:
https://report-antisemitism.de/documents/Antisemitische-Vorfaelle-Berlin-2022.pdf

Antisemitismus hat keinen Platz in Berlin – oder doch?