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Das »It-Girl« der Zwanziger Jahre

01.April 2012 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur

Eine Ausstellung der Berliner Kunstbibliothek entdeckt die jüdische Künstlerin Dodo wieder

 

 

 

Das Foto zeigt eine junge Frau im Badeanzug. Im Gegensatz zur unbeschwerten Szenerie in der Natur, Liegestuhl und Bäume im Hintergrund, schauen ihre Augen nachdenklich, doch selbstbewusst in die Kamera. Dörte Clara Wolff ist 22 Jahre alt, sie hat sich gerade als erfolgreiche Modezeichnerin in Berlin etabliert. Berühmt sind ihre Illustrationen für die weit verbreitete Satirezeitschrift »Ulk«. Sie bildet nicht nur das Berliner Leben der Roaring Twenties detailgetreu ab, sondern sie erzählt mit ihren leuchtenden, atmosphärisch enorm dichten Gouachen auch ironische Geschichten voller versteckter Erotik: Szenen zwischen älteren Männern, attraktiven Mädchen und einer dritten Figur, vielleicht ein junger Schwarzer, nach dessen Energie sich das Mädchen zu sehnen scheint. Mit der Ausstellung »Dodo (1907–1998) – ein Leben in Bildern« in der Berliner Kunstbibliothek wird die Künstlerin jetzt wieder entdeckt.

Das ist der Aufmerksamkeit und dem Spürsinn der Hamburger Kunstsammlerin Renate Krümmer zu danken. Sie war auf der Suche nach einer Silberkanne, als sie über das Bild Dodos »Wedding auf dem Dachgarten« stolperte: »Mir war sofort klar, dass ich hier ein Bild von hoher Qualität vor mir hatte«, sagte sie auf der Eröffnung der Schau.

Auch die Kuratorin der Ausstellung und Leiterin der Sammlung Modebild – Lipperheidische Kostümbibliothek, Adelheid Rasche, zeigte sich beglückt. »Wenn Zeichnungen nur mit dem Namen Dodo signiert sind, war es bisher für Kunsthistoriker fast unmöglich, sie einer Künstlerpersönlichkeit zuzuordnen. Noch schwieriger ist es bei Frauen, die oft durch Heirat den Namen wechseln. Im Falle Dodos kam die Emigration 1936 nach London hinzu«, sagte sie.

Dodos Geschichte ist ungewöhnlich, widersprüchlich und spannend: Sie kommt am 10. Februar 1907 in Berlin-Schöneberg als Dörte Clara Wolff zur Welt. Ihre erste Erinnerung ist eine pinkfarbene Stoffblume am Ballkleid ihrer Mutter. Aufgewachsen in großbürgerlicher, jüdischer Familie, beendet Dodo als 16-Jährige die Schule, um Künstlerin zu werden, denn sie zeichnet in jeder freien Minute. Allerdings nicht, wie es ihre Mutter wünscht, brave Landschaften, sondern nackte Mädchen, Paare im Liebesakt und eine schwangere Prostituierte auf einer Brücke, kurz vorm Selbstmord. Schon früh zeigt sich Dodos Sensibilität für den Kampf der Geschlechter.

Bevor sie ihre Ausbildung zur Künstlerin beginnt, muss sie ein Jahr Kochen, Backen und Haushaltsführung auf einer höheren Töchterschule lernen, die Bedingung ihrer Eltern für den Besuch der Kunst- und Kunstgewerbeschule von Albert Reimann. 1923 schreibt sich Dodo ein. Dodo ist nun in ihrem Element, zum Naturstudium geht es nicht nur in den Zoo, sondern auch in Nightclubs. 1926 erlebt die junge Malerin die berühmte Josephine Baker auf der Bühne und zeichnet die Tänzerin mehrfach. Dodo arbeitet als Modezeichnerin und verdient so gut, dass sie dauernd Taxi fährt. Ihre Zigaretten lässt sie mit ihrem Namen bedrucken, und statt Brille trägt sie ein Monokel. Heute wäre sie ein It-Girl!

 

Dodo: In der Loge (für »Ulk«), 1929

Dodo: In der Loge (für »Ulk«), 1929

Die Künstlerin arbeitet für den »Ulk«, als sich ein weiterer Karrieresprung ankündigt: Sie darf die Entwürfe für die Revue »Es liegt in der Luft« zeichnen. Das Gesangsduo Margo Lion und die junge Marlene Dietrich feiern 1928 einen rauschenden Erfolg in Kostümen von Dodo.

Es ist Zeit, ein seriöses Leben als Ehefrau und Mutter zu führen, findet Dodo. Als Partner hat sie Hans Bürgner ausersehen, einen 25 Jahre älteren Rechtsanwalt. Sie umwirbt ihn lange, bevor er einer Heirat zustimmt. Das Paar wohnt in Charlottenburg, in einem modernen Neubau. Der Architekt Ernst Freud, Sohn der Psychiaters Sigmund Freud und Vater des Malers Lucian Freud, entwirft die Möbel.

Dodo bekommt rasch hintereinander zwei Kinder. Aber sie fühlt sich in der ersehnten Mutterrolle zugleich gelangweilt und überfordert. Von 1934 an zeichnet sie für Kinderbücher und illustriert die Bibel. Seit die Nazis an der Macht sind, erhält sie Aufträge ausschließlich von jüdischen Verlagen: von der »Jüdischen Rundschau«, dem »Israelitischen Familienblatt«, der »C.V. Zeitung des Judentums« und dem »Gemeindeblatt der Jüdischen Gemeinde«. Ihr Stil ist nun weniger frech, und die Erotik spielt keine Rolle mehr. Aber sie interpretiert die Geschichten neu, so siedelt sie »Josef und seine Brüder« in der Gegenwart an: Eine Gruppe von Jungen und Mädchen in Shorts zerrt ein beflecktes Kleid mit Puffärmeln durch eine Straße mit Vorgarten und Markise. In den folgenden Jahren erlebt Dodo eine Achterbahn der Emotionen, sie verliebt sich in Gerhard Adler, einen Psychiater, dann in eine Frau, kehrt zeitweise zum Ehemann zurück und führt eine Ehe zu dritt. Schließlich lässt sie sich scheiden und kann 1936 noch rechtzeitig mit den Kindern nach England emigrieren. Eine zweite Ehe, mit Gerhard Adler, scheitert ebenfalls. Dodo ist in finanziellen Schwierigkeiten, in England kennt man den Stil der modernen Sachlichkeit nicht, ihre Arbeiten gelten als »zu kontinental«, um sie auf der Insel an den Mann zu bringen.

»Meine Mutter hatte ein Übungsbuch für Kindergymnastik zu illustrieren. Ich war mit sechs, acht Jahren ihr Modell. Das habe ich gehasst, es war sehr kalt, und ich trug nur einen Badeanzug«, erzählt Dodos Tochter Anja Amsel auf der Ausstellungseröffnung. Sie lebt heute im schottischen Edinburgh.

Zurück nach London: Dodo ernährt die Familie vom kleinen Honoraren für Grußkarten, die sie gestaltet. Glücklicherweise unterstützen beide Ex-Ehemänner sie im Exil. Inzwischen sind auch Dodos Eltern und ihre Schwester mit Familie eingetroffen. Die Großfamilie überlebt die deutschen Luftangriffe des »London Blitz« unversehrt und bleibt auch nach dem Krieg in England.

Im Alter reist Dodo viel: regelmäßig nach Florenz oder mit dem Auto durch England. Sie pflegt ihren Garten und sammelt Plastiken von Schildkröten, über 1000 in verschiedenen Materialien finden sich in ihrem Nachlass, als sie 1998 hoch betagt stirbt. Anja Amsel: »Viele Bilder in der Ausstellung kannte ich gar nicht. Nach dem Tod meiner Mutter haben wir ihren Haushalt aufgelöst. Die vielen Mappen mit Zeichnungen wurden an ihre Enkel verteilt. Einen Überblick hatte bis jetzt eigentlich niemand«, sagt sie.

Aus der ganzen Welt kamen insgesamt 25 Nachkommen von Dodo nach Berlin, um ein großes Familienfest mit den spannenden Bildern ihrer Mutter und Großmutter zu feiern.

Judith Meisner

_ »Dodo. Ein Leben in Bildern« bis 28. Mai, Kunstbibliothek Staatliche Museen zu Berlin, Matthäikirchplatz 6, Di–Fr 10–18 Uhr, Sa+So 11–18 Uhr