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Der Tingeltangel Luna-Park

01.März 2013 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur

Mit der Ausstellung »Kunst in Berlin 1933–1938. Verfemt, verfolgt, verboten« zeigt die Berlinische Galerie Bilder heute fast vergessener Künstler

Man wünscht sich mehr solcher Kunstschätze. Doch viele Bilder der Ausstellung »Verfemt, verfolgt, verboten« in der Berlinischen Galerie stehen beispielhaft für Gesamtwerke, deren Überbleibsel sie sind. Gerade deshalb ist die Schau sehenswert. Sie befindet sich in der Dauerausstellung wie eine Ergänzung auf Zeit. Ein paar Dutzend meist kleinformatiger Bilder von verfolgten Malern geben eine Ahnung davon, wie die Sammlung des Berlinischen Museums heute aussehen könnte, hätte es den NS-Terror nicht gegeben. Viele der Künstler waren den Nationalsozialisten gleich im doppelten Sinn ein Dorn im Auge, als Juden und als moderne Künstler.

Zuweilen kamen die Künstler den Nationalsozialisten zuvor: Das jüdische Ehepaar Anna Ratkowski (1900–1996) und Nikolaus Braun zerstörte seine Bilder von eigener Hand, als es 1937 Berlin verließ und nach Belgien emigrierte. Die beiden Künstler konnten nur kleinformatige Arbeiten ins Exil mitnehmen. 1938/40 entstand das Gemälde »Küchenstillleben mit Fisch« in der klaren Bildsprache der Modernen Sachlichkeit, der sich Anna Ratkowski als Schülerin von Arthur Segal verschrieben hatte. Die Malerin überlebte den Krieg versteckt in Belgien. Sie ist heute fast vergessen. Das Bild in der Ausstellung ist ein Geschenk von ihr an das Museum.

Anne Ratkowski: Küchenstillleben mit Fisch, 1938/1940

Anne Ratkowski: Küchenstillleben mit Fisch, 1938/1940

Otto Freundlich, geboren 1878, war einer der ersten abstrakten Künstler. In Paris lebte er 1908 Tür an Tür mit Picasso. Eine Abbildung von Freundlichs Skulptur »Der Neue Mensch« musste 1937 als Titelblatt des Katalogs zur Ausstellung »Entartete Kunst« herhalten. Der Künstler wurde im KZ Lublin-Majdanek ermordet. »Sein tragisches Schicksal und die bis heute unzureichende Würdigung seiner Persönlichkeit und seines künstlerischen Werkes dürfen als beispielhaft angesehen werden für die Leiden von Juden und Avantgardekünstlern unter der Herrschaft der Nationalsozialisten.« So heißt es über Otto Freundlich auf der Internetseite des Bundestages, in dessen Kunstsammlung sich Feundlichs Plastik »Sculpture Architecturale« befindet. In der Ausstellung ist die abstrakte »Komposition« von 1926 zu sehen.

Den Tingeltangel Luna-Park am Halensee verewigt das Gemälde von Lou Albert-Lazard (1885–1969) aus dem Jahr 1925. Die Malerin lebte in München als Geliebte des Dichters Rainer Maria Rilke. Nach einigen Jahren in Berlin ging sie 1928 nach Paris. Im Krieg wurden sie und ihre Tochter im Lager Gurs interniert. Einige der dort entstandenen Skizzen befinden sich heute in der Kunstsammlung im Beit Lohamei Haghetaot (Haus der Ghettokämpfer) im gleichnamigen Kibbuz in Israel.

Rudolf Jacobi (1889–1972) studierte nach einer Lehre als Theatermaler an der Kunstakademie Berlin. Zusammen mit seiner Ehefrau, der Malerin Anna Ottilie Krigar-Menzel, genannt Annot, eröffnete er 1928 die Malschule Annot. Weil sich das Paar weigerte, jüdische Schülerinnen zu entlassen, wurde die Schule 1933 durch die Nazis geschlossen. Die Kunst der beiden Maler galt als »entartet«, so dass die Familie mit zwei Kindern in die USA emigrierte. 

Die Fotografin Else Ernestine Neulaender-Simon (1900–1942) ist besser bekannt unter ihrem Künstlernamen »Yva«. Die Ausstellung zeigt einige ihrer experimentellen Arbeiten für Zeitschriften und Reklame, die das scheinbar unbeschwerte Lebensgefühl der Zwanziger Jahre transportieren. 1936 kam sie der Forderung der NS-Machthaber nach und übergab die Leitung ihres Studios an ihre »arische« Freundin Charlotte Weidner. Yva konnte weiter arbeiten und bildete Lehrlinge aus, darunter den später berühmten Modefotografen Helmut Newton. 1938 erhielt Yva dann doch Berufsverbot, das Atelier wurde geschlossen. Offensichtlich hatte sie wie so viele andere Künstler die Emigration geplant: Im Hamburger Hafen fanden sich 34 Kisten, die ihre persönliche Habe enthielten. Im Krieg arbeitete sie gezwungenermaßen als Röntgenassistentin im Jüdischen Krankenhaus Berlin. 1942 deportiert ins Vernichtungslager Sobibor, verliert sich die Spur von Yva und ihrem Mann Alfred Simon in Polen.

Auch die einst bekannte Julie Wolfthorn ist heute fast vergessen. Sie kam 1864 in Westpreußen zur Welt. Nach ihrer Ausbildung in Berlin und erfolgreichen Ausstellungen setzte sie sich 1905 für das Frauenstudium an der Preußischen Akademie der Künste ein. Deren Leiter, der Hofmaler Anton von Werner, lehnte die Petition, unterschrieben von 200 Frauen, ab. Von 1912 an stand Julie Wolfthorn zusammen mit Käthe Kollwitz der Berliner Secession vor – bis 1933 die Nationalsozialisten die Jüdin ausschlossen. 1942 wurde sie zusammen mit ihrer Schwester nach Theresienstadt deportiert und Ende 1944 ermordet. In der Ausstellung ist eines ihrer Pastellporträts zu sehen, das die Konzertsängerin Anna Muthesius zeigt.

Die Ausstellung folgt dem Sammlungsprinzip der Berlinischen Galerie, sich besonders den verfolgten Künstlern zu widmen. Es ist zwar nur wenig von einigen bekannt, dennoch hätte man sich eine etwas umfangreichere Dokumentation, etwa in Form eines kleinen Kataloges, gewünscht.     

Judith Meisner


_bis 12. 8. 2013, Berlinische Galerie, Alte Jakobstraße 124-128, 10969 Berlin, tgl., außer Di 10-18 Uhr, 8,-/5,-