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Der Vater der »Nachtigall«

01.Januar 1970 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur, Gedenken

Musik aus dem Warschauer Ghetto und eine »Ode an David Eisenstadt«

 

Musik aller Art war im Warschauer Ghetto ein wesentliches Element der Selbstbehauptung der eingepferchten Bevölkerung. Unter anderem waren es David Eisenstadt (1890–1942) und auf ganz andere Weise seine Tochter Miriam Ajzensztadt (1921–1942), die den Ghettobewohnern mit ihrer Musik Hoffnung und Mut machten.

David Eisenstadt (Dawid Ajzensztadt) war Dirigent, Arrangeur, Pädagoge und Komponist. Geboren in Nasielsk in Kongresspolen als Sohn eines Schochet, der auch als Laienkantor fungierte, bekam David Gesangsunterricht bei Kantor Eliezer Boruchowicz, studierte dann Chasanut in einer Jeschiwa in Nowy Dwór Mazowiecki und beendete seine Studien in Berlin. Er wurde Chorleiter in Berlin, dann in Gomel, Riga und Rostow am Don.

1921 wurde er Direktor des Chors der Großen Tlomackie-Synagoge in Warschau. Der hundertköpfige Chor bestand aus 80 Jungen im Alter von 9 bis 13 Jahren und 20 Erwachsenen, Tenören, Baritonen und Bässen und war der bedeutendste Chor für liturgische Musik, der aber auch ein weltlichem Repertoire hatte und Konzerte gab sowie im Rundfunk auftrat. Eisenstadt vertonte auch das Drama »Der Golem« von Lejwik. Jüdische und nicht-jüdische »Fans« besuchten die Synagoge, um Eisenstadts Chor zu hören. Unter den Bewunderern war auch der Pianist und ehemalige Ministerpräsident Polens, Ignacy Jan Paderewski.

David Eisenstadt selbst schrieb hauptsächlich religiöse Musik und Lieder. Berühmt waren seine Kompositionen für den Freitagabendgottesdienst. Einige seiner Arrangements sind heute Teil des klassischen Repertoires jüdischer Chöre. Als Pädagoge förderte Eisenstadt das musikalische Wissen unter den Juden und veröffentlichte eine Musikenzyklopädie in Jiddisch, die erste ihrer Art.

Nach Einrichtung des Warschauer Ghettos gründete er dort einen Chor und ein jüdisches Symphonieorchester.

Seine Tochter Miriam Eisenstadt (Marysia Ajzensztadt) wurde nun beinahe noch bekannter als ihr Vater. In allen Schriften und Tagebüchern von Juden, die den Krieg überlebt haben, kommt Miriam, die »Nachtigall des Ghettos«, vor. Emanuel Ringelblum, der Chronist des Ghettos schreibt, sie habe »wie ein Meteor eingeschlagen«. Melech Najsztat beschreibt, wie die Massen bei jedem ihren Auftritte im »Femina« Theater zusammenströmten, dort, wo auch ihr Vater seine Auftritte mit seinem Symphonieorchester hatte.

Sie wurde geliebt für ihre schöne Stimme, die Art, wie sie Arien, jiddische Lieder und sogar kantorale Rezitative und Stücke des berühmten Yossele Rosenblatt interpretierte.

Der polnisch-jüdische Autor Jonas Turkow schreibt über ihren und ihrer Eltern Tod: »Als die deutschen Soldaten Miriam von ihren Eltern auf dem Umschlagplatz getrennt und David Eisenstadt und seine Frau in einen anderen Güterwaggon gesteckt haben, ist Miriam zurück zu ihren Eltern gelaufen. Sie wollte sich nicht für die letzten Stunden ihres Lebens von ihnen trennen. Miriam war schon an der Waggontür, als eine deutsche Kugel sie niederstreckte.« Die Waggons fuhren nach Treblinka, David Eisenstadt und seine Frau starben in der Gaskammer.

David EisenstadtMiriam Eisenstadt

Die amerikanisch-israelische Sopranistin und Kantorin Mimi Sheffer traf vor ein paar Jahren auf die Stücke von Eisenstadt, die als »neue Herausforderung in der Kantoralmusik« an sie herangetragen wurden. Als sie dann von seinem Leben und Sterben erfuhr und auch noch in Warschau begann, Kantoren für die neuen jüdischen Gemeinden in Polen auszubilden, »war der Funke entflammt und wuchs der Wunsch, diese Musik wieder zu beleben«. Denn nur eine Handvoll von Eisenstadts Kompositionen wurden zu seinen Lebzeiten veröffentlicht und die meisten Manuskripte sind mit der Zerstörung des Warschauer Ghettos verloren gegangen. Und nun ist es soweit. Mimi Sheffer hat zusammen mit dem Kammerchor The Warsaw Singers unter Dirigent Sebastian Gunerka eine CD herausgebracht, die David Eisenstadt gewidmet ist. Neben dessen Werken enthält sie auch Stücke seiner Zeitgenossen Paul Ben-Haim, Samuel Adler, Max Janowski, Herbert Fromm, Kurt Weill (sein »Kiddusch« ist das einzige Stück, das er für eine Synagoge schrieb und seinem Vater Albert, einem Kantor, widmete) und Azriel David Fastag. In dessen Vertonung des zwölften von Maimonides’ Glaubensartikeln steht eine eindringliche Melodie, eine Mischung aus Klage- und Kampflied im Mittelpunkt, die im Warschauer Ghetto gesungen wurde. Auch Fastag selbst soll sie gesungen haben, als er in einem Viehwaggon nach Treblinka deportiert wurde.

Die vielschichtige, kraftvolle Einspielung, mit der die neue CD-Reihe »Cilia – The Jewish Music Series« startet, lässt nicht nur wichtige Komponisten und ihre Musik aus dem Ghetto weiterleben, sondern setzt auch neue Maßstäbe in der jüdischen Musiktradition.    

JK

 

_«Ode to David Eisenstadt. Synagogalmusik aus dem Warschauer Ghetto und mehr«. CD-Bestellung: www.cilia-jewish-music-series.com