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Die Heimwehklubs

24.Januar 2007 | Beiträge – jüdisches berlin | Aktivitäten

Der „Mifgasch“ im Centrum Judaicum gilt als Versammlungsort von vier Klubs, die nach dem Heimatort ihrer Mitglieder benannt sind – Odessa, Kiew, Baku, Leningrad. Irina Leytus, selbst aus Moskau, hat im „Mifgasch“ viermal die Gastfreundschaft ihrer Mitglieder genossen.

„Odessiten aller Länder, vereinigt Euch!“ – das ist das Motto der Website des weltweiten Klubs von Menschen, die sich mit Odessa verbunden fühlen. Dazu gehört auch der Berliner Odessiten-Klub, der bereits im Frühjahr 2001 gegründet worden ist. Neunzig Mitglieder treffen sich regelmäßig einmal im Monat, oft mit einem Schwerpunktthema, manchmal einfach aus Anlass von Jubiläen der Mitglieder. So auch diesmal: die Tische sind reichlich mit von zuhause Mitgebrachtem gedeckt, der Vorsitzende Michailo Misozhnick hält eine feierliche Rede und übergibt Geschenke, dann setzt sich Lilia Kantor, die in Odessa eine große Karriere als Schauspielerin gemacht hatte, ans Klavier. Sie fragt das Publikum: „Wollt Ihr alte Romanzen hören?“ Eine Stimme aus dem Saal ruft: „Mit Vergnügen!“ – „Mit Vergnügen – das ist teurer!“ – kommt prompt die Antwort, die zeigt: hier treffen sich wahre Odessiten, die für ihren Humor und ihre Schlagfertigkeit bekannt sind. Zu ihnen zählt, neben dem „Klassiker“ Isaak Babel, auch der berühmteste zeitgenössische russischsprachige Humorist, Michail Zwanezkij. Früher wurde in Odessa nicht nur russisch und ukrainisch, sondern auch jiddisch, griechisch und französisch gesprochen. Die Kulturmetropole am Schwarzen Meer war ein Schmelztiegel der Nationen. Zugegeben, die zweitgrößte Stadt der Ukraine hat nach dem Zerfall der Sowjetunion ihren alten Glanz verloren, aber die Verbundenheit vieler ehemaliger Odessiten zu diesem besonderen Ort kann sich aus einer glorreichen Geschichte und alten Legenden nähren.ohl noch lange mit einer „Nebenrolle“ begnügen und auf ihren eigenen Klub verzichten werden?

Foto: Irina Leytus

Foto: Irina Leytus

Michailo Misozhnick betont, dass die Arbeit des Klubs sich nicht nur „rückwärts“ richtet: „Unser besonderes Anliegen ist die Unterstützung des Staates Israels“. Die Töchter und Söhne der größten ukrainischen Stadt – der Hauptstadt Kiew – haben ebenfalls in Berlin einen Klub gegründet. Zwar erst im Februar 2006, aber sie haben seitdem bereits viel realisiert: einen Gedenkabend zu Babij Jar, wo während der Nazibesatzung über 200000 Menschen den Tod fanden, eine Veranstaltung über die Schoa auf dem gesamten sowjetischen Territorium, eine Besichtigung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas und mehrere „allgemeine“ Reisen nach Bremen, Dresden und Caputh bei Berlin. Elena Kushkova, zweite Vorsitzende des Klubs, betont: „Wir wollen Deutschland kennen lernen“. Ihre Vorstandskollegin Maria Gendler kümmert sich inzwischen um zwei Jubilare – Asja Weisberg (80) und Branislawa Blank (60), die 50 Klubmitglieder sowie 20 Gäste „von außerhalb“, zum Beispiel aus Bernau, zum Tanz auffordern.

Alle sprechen russisch,wie es auch die meisten der weltberühmten Kiewer wie Kazimir Malewitsch, Michail Bulgakow, Ilja Ehrenburg oder Zino Davidoff taten. Ebenfalls russisch, wenn auch etwas melodischer, wird bei der Zusammenkunft ehemaligen Bürger von Baku, der Hauptstadt der Kaukasusrepublik Aserbaidschan, gesprochen. Die Zwei-Millionen- Stadt am Ufer des Kaspischen Meeres ist als eine – bedingt durch die Ölvorkommen – wohlhabende, aber auch als eine sehr tolerante, offene Stadt bekannt. „Bei uns heißt es: Nationalität – Bakinez“, – sagt Elmira Aschrafov, die Vorsitzende des Berliner Klubs. Sie erzählt die Geschichte ihrer Eltern, die für den multikulturellen Charakter der Stadt exemplarisch ist:„Mein Vater stammte aus einer wohlhabenden muslimischen Familie und wollte unbedingt eine Jüdin heiraten, damals in den Vierzigern war das besonders chic, denn die jüdischen Mädchen waren für ihre gute Erziehung, vielseitige Bildung und Emanzipation besonders hoch geschätzt“.

Der Baku-Klub ist neu. Es gibt ihn erst seit letztem September. Bis jetzt hat man sich hier hauptsächlich mit der alten Heimat befasst: Geschichte der Juden in Aserbaidschan im frühen Mittelalter, Leben der Juden im heutigen Baku – ein Dokumentarfilm von Semen Goldberg zeigt ein blühendes freies jüdisches Leben, eine „Insel“ in einem Meer von Antisemitismus, der in der ehemaligen UdSSR grassiert.„Nicht die Situation in Baku selbst, sondern die Angst um die Kinder, die in die bewaffneten Konflikte in der Region hätten hineingezogen werden können, hat uns hierher gebracht“, kommentiert ein Mitglied den Film. Die beiden berühmtesten Söhne Bakus haben ebenfalls ihre Stadt Richtung Westen verlassen: Mstislaw Rostropowitsch und Garri Kasparow. Aus der zweitgrößten russischen Stadt – St. Petersburg – stammen die Mitglieder des einzigen tatsächlich aus Russland stammenden Klubs. Dieser wird allerdings „Klub Leningrad“ genannt, wie die Vier- Millionen-Stadt zwischen 1924 und 1991 hieß. „Wir sind in Leningrad geboren, in Leningrad haben wir gelernt, gearbeitet und geliebt. Leningrad musste während des Zweiten Weltkrieg 900 Tage die Belagerung ausharren, was zum Tode von einer Million Leningrader führte“, – erklärt der Klubvorsitzende Leonid Berezin. Die Befreiung von Leningrad wird traditionell gefeiert. Mit poetischen Übersetzungen aus dem Jiddischen und Polnischen wurde das Jubiläum des Aufstandes im Warschauer Getto begangen. „Aber unser Schwerpunkt liegt in der Integration unserer Mitglieder in das jüdische Leben hier“, betont Berezin. Der Ökonomieprofessor gibt zu, dass ihm ursprünglich ein kleiner elitärer Klub von Intellektuellen in der Tradition von Nabokov, Schostakowitsch und Joseph Brodsky vorschwebte. Nun ist der Klub auf 90 Mitglieder gewachsen und zählt zahlreiche „Freunde“ aus Moskau dazu. Grund zum Stolz, bedenkt man, dass Moskau und Leningrad seit eh und je in einem permanenten Wettbewerb „auf allen Fronten“ zu einander stehen. Ob sich die Moskowiter in Berlin w