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Die Welt war sein Feld

01.Juni 2007 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur

In einer Zeit, in der Schiffe Statussymbole der Nationen waren, ließ der »Kaiserjude« Albert Ballin (1857–1918) in Hamburg die größten und modernsten Schiffe der Welt bauen. Von Moses März

Vor zwei Jahren stieg die Hapag-Lloyd AG in die Top 5 der weltweit tätigen Schiffslinien auf. Die Hamburger Reederei ist heute in mehr als 100 Ländern vertreten und machte 2006 einen Umsatz von 6,3 Milliarden Euro. Das Erfolgsunternehmen wurde von kaum einem anderem Mann so sehr geprägt wie von Albert Ballin. Er erfand die „Kreuzfahrt“ und machte am Anfang des 20. Jahrhunderts aus der bis dahin unkomfortablen Seefahrt ein Vergnügen auf Luxuslinern, die in Komfort und Eleganz mit aristokratischen Palais mithalten konnten. Durch ihn wurde aus der kleinen „Hamburg-Amerika-Packet-Aktien­gesellschaft“ (Hapag) erstmals ein „Global Player“.
Wer war dieser Mann, der als „Kaiserjude“ galt und aus ärmlichen Verhältnissen zum größten Reeder der Welt aufstieg? Als 13. und letztes Kind der jüdischen Familie Ballin in Hamburg geboren, genoss der junge Albert eine durchschnittliche Schulbildung. Mehr vom Geschäft als von den Schulbüchern angezogen, be­gann er früh bei dem kleinen Unternehmen seines Vaters zu arbeiten. „Morris und Co.“ war eine Agentur, die Auswanderern Formalitäten ab­nahm und arme Teufel  noch ärmer werden ließ. Durch das Geschäft seines Vaters hatte Ballin früh die Gelegenheit nach England zu reisen, wo er Anschauungsunterricht in den Tugenden eines Gentleman bekam, Englisch lernte und die ersten Ge­schäftskontakte knüpfte. Mit großem Ehrgeiz führte er schließlich die Firma seines Vaters fort. Die Pogrome in Osteuropa zwangen immer mehr Juden dazu, über Hamburg nach Amerika zu fliehen, was Ballin zu einem rasanten Aufstieg verhalf.

Albert Ballin und Kaiser Wilhelm II

Albert Ballin und Kaiser Wilhelm II

Albert Ballin selbst pflegte ein eher seltsames Verhältnis zum Judentum. Das aktive Mitglied der Jüdischen Gemeinde Hamburg feierte gerne Weihnachten und hatte keinerlei Bedenken, 1883 Marianne Rauert, eine evangelischen Christin aus gutbürgerlichen Milieu, zu heiraten. Da er  öffentlich ungern mit dem Judentum in Verbindung gebracht werden wollte, ließ er der Gemeinde seine  großzügigen Spenden über Umwege zukommen.
Trotzdem sagte er über seine provinzielle Heimatstadt, dass ihr im Unterschied zu einer wahren Metropole vor allem der jüdische Einfluss fehle: „Ich verkenne keinesfalls die unangenehmen Eigenschaften von Juden und doch muss ich sagen, für Hamburgs Entwicklung wären 10 000 Juden ein Segen.“
Erst 22 Jahre alt, konnte Ballin Edward Carr dazu überreden, seine zwei einfachen Frachter für die Auswanderung einzusetzen und mit Zwischendecks auszurüsten. Damit wurden auch die Tickets billiger und Ballin konnte erstmals direkt am Auswanderungsgeschäft teilhaben. Carrs Union Linie setzte den Branchenführer Hapag in wenigen Jahren so sehr unter Druck, dass sich der große Konkurrent im Kampf um Marktanteile dazu gezwungen sah, Verhandlungen mit Carr und Ballin zu führen. Mit seiner Art der Geschäftsverhandlung, die als intuitiv und hart galt, beeindruckte Ballin die Hapag derart, dass diese ihn 1886 prompt unter Vertrag nahm.
Mit der Idee neue Doppelschrauben-Schnelldampfer für die Hapag bauen zu lassen, arbeitete sich Ballin in den Vorstand des Unternehmens und ging daran, den Norddeutschen Lloyd (NDL) mit dessen eigenen Waffen zu  schlagen. Zusätzlich machte er aus der bis um 1900 weitgehend unkomfortable Seereise ein nobles Vergnügen. 1891 schipperte die ausgebuchte „Auguste Viktoria“ im kalten Januar durch das Mittelmeer – und traf damit den Nerv der Zeit.
Unter Ballins Motto „Die Welt ist mein Feld“ wurde die Hapag zum zweitgrößten Reedereiunternehmen Deutschlands, neben dem ewigen Konkurrenten – der NDL. Während die Hapag Welthandel betrieb, versuchte sich der deutsche Kaiser in Weltpolitik, nicht zuletzt, indem er die deutsche Kriegsflotte vergrößern ließ. Ballin stand dem anfangs alles andere als  kritisch gegenüber. 1913, kurz vor Kriegsausbruch, baute er mit der „Vaterland“ das damals größte Schiff der Welt. Mit dem Kaiser, den er ab 1891 oft persönlich traf, verband ihn ein vertrautes Verhältnis. Obwohl Wilhelm II. Juden als Menschen zweiter Klasse betrachtete, wusste er von der Wichtigkeit Ballins und suchte seine Nähe und seinen Rat. Ballin, von Herzen ein national-liberaler Monarchist, genoß die ungewöhnliche Freundschaft und nutzte die sich wechselseitig ergänzenden Kräfte von Welthandel, Weltindustrie, Kolonien, Handels-  und Kriegsflotte. Als sich das Verhältnis zwischen Wilhelm II. und England verschlechterte, griff Ballin mehrfach durch diplomatische Verhandlungen in die Politik ein, anfangs noch im Sinne Wilhelms, später, als er merkte, dass der von schlechten Beratern umgeben war, immer mehr in eigener Sache. Die drohende Gefahr eines Krieges vor Augen, wußte Ballin: „Wenn der Himmel einfällt, sind alle Spatzen tot“. So oder ähnlich kam es auch. Die Hälfte von Ballins 25 000 Mitarbeitern wurde zum Kriegsdienst eingezogen, seine Schiffe in den Häfen zerstört oder von der Marine eingezogen. Der Freihandel brach zusammen und Ballin mußte zusehen, wie „das Werk einer 30-jährigen emsigen Arbeit durch Wahnsinnige in Trümmern zerlegt“ wird.
Als, nach dem Kriegseintritt Amerikas, schon alles zu spät war, kam es am 5. September 1918 zu einer letzten Unterredung zwischen dem Kaiser und Ballin. Erfolglos riet Ballin ihm zu einem Friedensschluss mit den USA, der Räumung der besetzten belgischen und französischen Gebiete, sogar eine Demokratisierung des Landes soll er thematisiert haben.
Die Situation nach dem Krieg war aussichtslos. Das Reich, dem Ballin seinen sozialen Aufstieg zu verdanken hatte, war mitsamt der Hapag Flotte untergegangen und den neuen Machthabern aus der Arbeiterbewegung misstraute er zutiefst. Zeit seines Lebens war er gegen Gewerkschaften, gegen „die uns auferlegte Ohnmacht“. Am 9. November 1918, an dem Tag, an dem Reichskanzler Max Prinz von Baden eigenmächtig den Rücktritt des Kaisers verkündete und Wilhelm II. in das niederländische Exil aufbrach, starb Ballin an einer Medikamenten-Überdosis.
Vier Jahrzehnte später kam es 1970 zum Zusammenschluss der Hapag und Llyod – nachdem sie über ein Jahrhundert als Konkurrenten in der Schifffart tätig gewesen waren.
Zum 150. Geburtstag Ballins öffnet in diesen Sommer ein Museum auf dem Gelände der ehemaligen Ballinstadt, einem Areal wo er einst Schlaf- und Wohnpavillons, Bäder, Kirchen und Synagogen für die Emigranten errichten ließ. Dort wird an das außergewöhnliche Werk Albert Ballins erinnert.