Beitragssuche

Datum / Zeitraum:
Beitragsart:
Kategorie:

Editorial

01.Juni 2014 | Beiträge – jüdisches berlin | Gemeinde

Liebe Gemeindemitglieder, der vergangene Monat war für die Juden in Europa von einer Vielzahl von Ereignissen geprägt, die uns alle sicherlich berührt und betroffen haben. Europa ist jedoch nicht nur wegen der Wahl zum Europaparlament das aktuelle Schlagwort und das tragende Thema, welches uns bis in die Sommerpause begleiten wird.

Schon in den Jahren der Weimarer Republik waren die Jüdischen Gemeinden in Europa Zuwanderungsgemeinschaften. Polnische Juden prägten das Gesicht der Jüdischen Gemeinden in der Nachkriegszeit. Juden aus der ehemaligen UDSSR hauchten ab Anfang der 1990er Jahre verstärkt den europäischen jüdischen Gemeinden neues Leben ein.

Der aktuelle politische Wandel Europas rückte jedoch vermehrt die Ukraine in den jüdischen Fokus. Schon seit einem halben Jahr dauern die Konflikte zwischen den widerstreitenden Parteien in der Ukraine an. Dabei wurden seit dem Beginn der Auseinandersetzungen vermehrt antisemitische Tendenzen beobachtet, es wurde sogar von Gewalttaten berichtet. Viele Gemeindemitglieder, die ihre Wurzeln in der Ukraine haben, machen sich große Sorgen um Ihre Angehörigen und Freunde. Es scheint, als werden die Juden in der Ukraine zurzeit zwischen allen Fronten aufgerieben. Juden waren sowohl auf dem Maidan zu sehen und haben sich gegen die ehemaligen Machthaber ausgesprochen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch jüdische Stimmen, die sich für den Kurs einer Landesteilung und pro-russisch äußerten.

Fakt ist jedoch, dass es unabhängig von der politischen Stellung Einzelner im Ukrainekonflikt eine zunehmende Bedrohung für jüdische Bürger gibt. Das russische Fernsehen berichtete wiederholt über antisemitisch geprägte Übergriffe. Unbestritten hat die Glorifizierung des Nazi-Kollaborateurs Stepan Bandera in Teilen der Westukraine einen bitteren Beigeschmack, da diese Ideologie mit antisemitischem Gedankengut einhergeht, zumal Banderas »Organisation Ukrainischer Nationalisten« an Massakern gegen Juden im II. Weltkrieg beteiligt war. Aus dem im Osten des Landes liegenden Donezk wurde ein Flugblatt bekannt, in dem Juden aufgefordert wurden, sich bei den provisorischen pro-russischen Behörden persönlich zu registrieren und die Eigentumsverhältnisse offenzulegen, sonst drohe die Enteignung und die Ausweisung aus der »Freien Republik Donezk«.

Diese erschreckenden Verhältnisse in Osteuropa bewegen viele Gemeindemitglieder dazu, sich nach einer Möglichkeit der Einreise für ukrainische Juden nach Deutschland zu erkundigen. Nach Rücksprache mit dem Vorsitzenden der Gemeinde und der zuständigen Integrationsdezernentin gibt es folgenden Lösungsansatz:

Der Bundesinnenminister, Herr Dr. Thomas de Maizière hat zugesichert, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angewiesen wurde, Anträge von Juden aus der Ukraine vordringlich zu bearbeiten. Daher bittet die Jüdische Gemeinde zu Berlin, sich in konkreten Fällen an die Integrationsabteilung zu wenden. Hier werden die Namen und die Situation Ihrer Verwandten und Freunde aufgenommen und an die zuständigen Stellen weitergeleitet.

Ein weiteres Ereignis erschütterte vor einigen Tagen die jüdische Gemeinschaft Europas. Der feige Anschlag in und um das Jüdische Museum in Brüssel trifft nicht nur die »Hauptstadt Europas«, sie trifft auch in das Herz der europäischen Juden. Zu frisch sind die Erinnerungen an den Anschlag von Toulouse. Wir alle hatten jedoch die Hoffnung, dass sich ein solches Ereignis nicht wiederholen würde.

Eine Woche vor dem Anschlag in Brüssel hatte ich die Gelegenheit, diese tolerante und multikulturelle Stadt kennenzulernen. Umso ratloser steht man einer solchen sinnlosen Gewalttat gegenüber und fragt sich: Kann so etwas auch in Berlin passieren? Bestürzend ist dann die Erkenntnis: Eine solche Gräueltat ist nirgendwo auf der Welt auszuschließen. Entgegenwirken kann dieser nur ein effektives Sicherheitsnetz und menschliche Solidarität.

Ihr

Michael Rosenzweig

Editorial