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Ein Pathologe, ein Pädiater, ein »Engel der Armen«

01.Dezember 2008 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur

Drei Neuerscheinungen erinnern an verdienstvolle, fast vergessene jüdische Ärzte aus Berlin

Zum 9. November gedachten Vertreter der Ärzteschaft in Berlin ihrer vertriebenen und ermordeten jüdischen Kollegen, von denen viele wesentliche Bausteine für die Entwicklung der Medizin in Deutschland beigetragen haben. Auch die drei zeitgleich in der Reihe »Jüdische Miniaturen« erschienenen Porträts sind Ärzten gewidmet, die Pionierarbeit für die moderne Auffassung von Medizin und die Verantwortung für den Patienten geleistet haben: Ludwig Traube, Hugo Neumann und Martha Wygodzinski.
Ludwig Traube (1818–1876), ältester Sohn eines Weinhändlers aus Oberschlesien, promovierte 1840 über das Lungenemphysem und arbeitete unter anderem als Assistent eines Armenarztes, bis er, 31-jährig mit Unterstützung Rudolf Virchows an die Berliner Charité kam. Er machte im Laufe seines Lebens eine damals für Juden einzigartige Karriere durch, war Leiter der propädeutischen Klinik der Charité, Chefarzt der Inneren Abteilung des Jüdischen Krankenhauses, Geheimer Medizinalrat sowie Professor am Friedrich-Wilhelms-Institut und an der Berliner Universität. Vor allem aber etablierte Traube die pathophysiologische Forschung in Deutschland (er führte Tierexperimente in seiner ersten Wohnung in der Oranienburger Straße durch und erforschte später vor allem Lungen-, Herz- und Nierenerkrankungen), setzte sich für die Einrichtung von Spezialkliniken ein, reformierte den klinischen Unterricht und die Untersuchungsmethoden von der Fiebermessung bis zur Krankenblattführung. Das Buch über Traube beschreibt aber auch, wie seine Arbeit wegen seiner jüdischen Herkunft permanent behindert wurde und er, erst 58 Jahre alt – psychisch und physisch geschwächt – starb.
Hugo Neumann (1858–1912) wurde als Sohn eines Zigarrenfabrikanten in Berlin geboren und eröffnete nach seinem Medizinstudium die erste Poliklinik für arme Kinder in Berlin, die 1897 in einen vierstöckigen Neubau nach modernstem Standard in der Blumenstraße zog. Die Klinik war ein absolutes Novum in ihrer Zeit, sie hatte allgemeinmedizinische Sprechstunden, aber auch Chirurgen, Orthopäden, HNO-Ärzte, Nerven-, Augen- und Zahnärzte sowie eine Abteilung für Sprachkrankheiten. Später kamen Säuglingsfürsorgestellen und Kindererholungsstätten hinzu. Ungewöhnlich war auch der zuwendungsvolle Umgang Neumanns mit den Kindern und mit armen Patienten, genauso wie die Art seiner Wissensvermittlung. Er schrieb etwa ein viel beachtetes Lehrbuch in Form von fiktiven Briefen an einen jungen Kollegen, aus denen in der Miniatur einige Passagen wiedergegeben sind. Und er nutzte gezielt die Statistik – etwa zur Erhebung von Krankheitsursachen oder Säuglingssterblichkeit in Abhängigkeit von der sozialen Lage. Der große Kinder- und Menschenfreund starb kinderlos mit 54 Jahren infolge seiner jahrelangen Tuberkuloseerkrankung.

Das Stethoskop Ludwig Traubes wird heute im Archiv des Berliner Centrum Judaicum aufbewahrt.

Das Stethoskop Ludwig Traubes wird heute im Archiv des Berliner Centrum Judaicum aufbewahrt.

Hugo Neumann liegt auf dem Friedhof Weißensee, Ludwig Traube in der Schönhauser Allee. Martha Wygodzinski (1869 – 1943) hat kein Grab. Der »Engel der Armen« starb in Theresienstadt. Wygodzinski, die in der Schweiz studiert hatte, war vor der Jahrhundertwende eine von nur acht Berliner Ärztinnen. Mit dem Ziel einer »sozialen Medizin«, insbesondere für die Frauen, engagierte sie sich in der bürgerlichen Frauenbewegung und in der SPD. Als erste Frau wurde sie in die »Berliner Medizinische Gesellschaft« aufgenommen. Nach ihrer Approbation 1902 arbeitete Dr. med. Martha Wygodzinski als »Armenärztin« in Mitte und Prenzlauer Berg, eröffnete eine »Poliklinik für Frauen« und in Pankow ein Heim für ledige Mütter. Sie war Berliner Stadtverordnete für die SPD, setzte sich engagiert für die Abschaffung des § 218 und für ihre vielen mittellosen Patienten ein, bis ihr, wie allen jüdischen Ärzten 1936 die Approbation entzogen wurde.
Judith Kessler

Alle Porträts sind bei Hentrich & Hentrich 2008 erschienen:
_Büning, Marianne: Ludwig (Louis) Traube. Arzt und Hochschullehrer, Begründer der experimentellen Pathologie. 6,90
_Kirchner, Gerrit: Dr. Hugo Neumann. Ein Pionier der sozialen Kinderheilkunde. 5,90
_Peters, Dietlinde: Martha Wygodzinski. Berliner Ärztin – engagierte Gesundheitspolitikerin. 5,90