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In der Welt des »weder-noch«

29.April 2009 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur

Eine Tagung zum Bild des Marranentums im 19. und 20. Jahrhundert

≫Marranen≪ ist eine Bezeichnung fur die in Spanien und Portugal im 14./15. Jahrhundert zwangsgetauften Juden und Muslime (Morisken), die heimlich ihre alte Religion weiter praktizierten. Die Wortherkunft ist nicht ganzlich geklart. Marrao bedeutet im Portugiesischen Schwein, Mahram ist im Arabischen etwas Verbotenes, maran atha im Aramischen etwas Verfluchtes; im Hebraischen wird auch von Anussim, Gezwungenen, gesprochen. Die iberischen Conversos waren im besten Fall Ausenseiter, im schlechtesten wurden sie von der Inquisition verfolgt. Ein Teil verlies das Land und siedelte sich in Antwerpen, London oder Hamburg an, andere blieben heimlich dem Judentum treu oder re-konvertierten sogar wie der Kabbalist Schlomo Molcho, der als Diego Perez geboren und 1532 von der Inquisition auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Die internationale Tagung ≫Versteckter Glaube oder doppelte Identitat?≪ des Moses Mendelssohn Zentrums und des Geschichtsforum Jagerstrase beschaftigte sich im Marz jedoch nicht mit dem ≫Original≪, sondern mit dem Bild des Marranentums im 19. und 20. Jahrhundert, mit einem ≫heimlichen Judentum≪, das auch fur das deutsch-judische Burgertum identitatsstiftend wirkte.

Judith Kessler

Gerade Berlin war ja im 19. Jahrhundert Schauplatz zunehmender Ubertritte von Juden zum Christentum. Der Historiker Julius Schoeps machte darauf aufmerksam, dass die kleine deutsch-judische Oberschicht, in der diese Konversionen stattfanden, personlich und geschaftlich eng miteinander verbunden war und man in der Regel uber Generationen hinweg untereinander heiratete. Schlieslich hatten alle das gleiche Problem, da blieb man lieber ≫unter sich≪ (eine ≫ethnische Solidaritat≪, die Cohen- Albert auch fur Frankreich beobachtete). Damit grenzte sich diese Schicht auch wiederum selbst von anderen Bevolkerungsteilen ab und stand dauerhaft am Rande der Gesellschaft, eine ≫Form des modernen Marranentums≪ eben. Misstraut wurde den Konvertiten von der christlichen Mehrheitsgesellschaft in jedem Fall. So wie spanische Conversos und Juden bei Pogromen gleichermasen betroffen waren, da das ≫Blutrecht≪ am Ende schwerer wog als die Taufe, wurden auch die getauften Mendelssohns oder Friedlanders spatestens mit den NS-Rassegesetzen wieder zu Juden.Für die Eltern und Groseltern dieser Konvertiten war der Ubertritt mit vielen Hoffnungen verbunden, er sollte das Entrebillet in die Gesellschaft sein. Thomas Lackmann beschrieb anhand der weitverzweigten Familie Mendelssohn die Vielzahl der Motive: hier ein Heirat, dort der Beruf, die Erhohung der Zukunftschancen fur die Kinder, Sinnsuche, Pragmatismus, Preusentum, eine Erbschaft. Oft wussten die Eltern nicht, dass die Kinder sich taufen liesen oder es kam zum Streit – wie zwischen Abraham Mendelssohn Bartholdy und seinem Sohn Felix, der das verdachtige ≫Mendelssohn≪ im Namen loswerden wollte. Trotzdem hatte auch dieser Abraham seinen zweiten Namen Moses gegen Ernst getauscht und die Religion der ≫zivilisierten Majoritat≪ angenommen. Auch wenn es dabei immer um gesellschaftliche Sicherheit, die Wertekoordinaten der Aufklarung und Vernunftentscheidungen ging, die mit (judischer oder christlicher) Religion wenig zu tun hatten, ist doch jede dieser Biografien ein Einzelfall, wie Lackmann betonte. Hannah Lotte Lund sprach uber die Berliner literarischen Salons um 1800, die mehrheitlich von getauften Judinnen betrieben wurden. Saloninterne Briefwechsel zeigten auch hier, dass das Thema Konversion nur beiläufig und wenn, dann ironisch behandelt wurde (≫Die Wasserscheuen schreien≪, schreibt Lea Mendelssohn).Auf einer eben nicht biografischen, sondern statistischen Ebene untersuchte Anna Staudacher Wiener Archivmaterial von 1868 bis 1914 – 16 000 Austrittserklarungen aus dem Judentum. Marranentum im engeren Sinne entdeckte sie nicht (auser bei Dienstmadchen, deren uneheliche Kinder zwangsgetauft worden waren), aber ein Marranentum im weiteren Sinne und Doppel-Identitaten (namlich wie beim Mendelssohn-Clan haufige Eheschliesungen unter Konvertiten) und unter umgekehrten Vorzeichen (judische Eltern liesen ihre Kinder heimlich taufen und katholisch erziehen, lebten selbst aber weiter als Juden). Auch Staudacher stellt fest, dass die Taufen nicht mit Religion, sondern mit einem Zweck verbunden waren – etwa dem Wunsch zu heiraten oder den Namen zu wechseln. War der Zweck erfullt, trat so mancher auch wieder ein ins Judentum (teilweise aber ohne dies offentlich zu machen). Doch zeitgleich mit dem Versuch der Juden, sich ihres Judentums zu entledigen, ging die Mehrheitsgesellschaft dazu uber, Juden wieder zu demaskieren. Der ≫imaginare, unsichtbare≪ Jude war auch ein beliebter Topos der NS-Propaganda und gehort zu jeder zweiten Verschworungstheorie. Bis heute behaupten turkische Fundamentalisten, der Islam ware judisch unterwandert und sogar im fernen Japan, so der Historiker Schoeps, stehe ≫der Jude≪ fur ≫das Bose≪. Das Marranen-Bild ist ein ebenso ≫freischwebendes ≪, mit beliebigen Mystifikationen fullbares Vorurteilsbild wie das Juden-Bild. Literarisch gilt die biblische Esther vielen als ≫Urmarranin ≪, denn um die Frau des Konigs zu werden, hatte sie ihre judische Herkunft verschwiegen. Auch wenn sie so spater ihr Volk retten konnte, zahlte sie einen hohen Preis: sie musste ihre Identitat verbergen, war Ausenseiterin und auch die Beziehung zu ihrem Mann war von vornherein auf dieser Luge aufgebaut. Eine ambivalente Position, die aber auch – wie bei den Frauen der literarischen Salons – die Mittlerfunktion ermoglichte, die mit ihrer Maskerade fur Manner nicht zumutbar war (Lund). Das literarische Modell taucht haufig auf, so bei Balzac, bei dem die schone Exotin (und Kurtisanin) zum Christentum ubertritt und sich am Ende selbst totet, aber auch in der jiddischen Literatur, unter anderem in Gedichten, die danach fragen, ob es nicht unter bestimmten Bedingungen notwendig ist, marrano zu sein – wie in Ahron Zeitlins ≫Dos jor 1492≪ oder in Abraham Suztkevers ≫maranen≪, das auf die Situation der Juden in der Sowjetunion zielte. Das Marranentum war schon im 19. Jahrhundert auch ein Thema der deutsch-judischen Literatur, das sich anbot, um der Forderung nach der Wiederentdeckung des Heldentums (zugleich ein Moment der Sakularisation) in der eigenen Geschichte nachzukommen, wie Florian Krobb feststellte. Das spanische Spatmittelalter bot hier reichlich Projektionsflache und war als Fortschritts- und Leidensgeschichte zugleich schilderbar. Beispiele sind Berthold Auerbachs Spinoza-Roman, Heinrich Heines ≫Rabbi von Bacharach≪, aber auch sein Drama ≫Almansor≪ (1821), die erste deutsche Dichtung, die das Thema aufgriff. Schon hier wird die Camouflage, das Verschleiern, das ≫Stehen im Freiraum≪ zwischen den Fronten als unlosbares Dilemma thematisiert. Heines gern zitierter Satz: ≫Dort wo man Bucher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen≪ (gemeint war hier der Koran, der auf dem Scheiterhaufen der Inquisition landete), stammt aus ≫Almansor ≪; die Morisken sind hier nur Abstraktionen von Marranen. Um Morisken – und auch hier eigentlich um Marranen und die Zeit der Religionsfreiheit in Cordoba – geht es auch schon in Jan Potockis franzosisch geschriebenen Roman ≫Die Handschrift von Saragossa≪ (1805), in dem die Liebesbeziehungen zwischen Christen, Juden und Mauren nach Michael Rohrwasser eine aufklarerische Antwort auf die christlichen Reinheitsgesetze Chateaubriands sind. Das Phanomen des Marranentums umreist auch ein politisch-ideologisches Dilemma und wirft Fragen auf, die schon Denker von Spinoza bis Rosenzweig und Leo Strauss bewegt haben: Sollten sie eine neue Identitat auserhalb des Judentums und der theologisierten Politik der Zeit annehmen oder sollten sie gerade ihr Judentum nutzen, um dieser Politik zu entgehen. Ein Beispiel ist der franzosische Philosoph Henri Bergson, der zum Katholizismus ubertrat und 1937 widerrief, weil er an der Seite der verfolgten Juden stehen wollte.Im selben Jahr 1937 entstand Ernst Sommers Roman ≫Botschaft aus Granada≪, der ebenfalls um die marranos im ≫Goldenen Zeitalter≪ kreist und als Pladoyer fur ein Festhalten an der ≫Vernunftreligion≪ und als Metapher fur die Zeit des aufkommenden Nationalsozialismus lesbar ist. Sommers Figuren gehen ganz verschieden an die Herausforderung heran – von zweifelnd uber heldenmutig bis altruistisch: eines ist jedoch allen gleich, dass sie, gewollt oder nicht, immer Juden sind (≫Das Brandmal bleibt ihnen ≪) und dass sie die Taufe nicht aus Uberzeugung gewahlt haben, sondern weil sie ein Weg ist, um am Leben zu bleiben, so der Literaturwissenschaftler Gerhard Langer.Die marranos wurden zu einem Symbol fur die Diasporageschichte des Judentums, so auch bei Fritz Heymann, der sie 1937 in seiner ≫Marranen-Chronik ≪ als Typus judischer Existenz und kulturell eigenstandige ≫Gruppe am Rande der Gesellschaft≪ zeichnete. Heute gilt die krypto-judische Identitat manchem Soziologen auch als gutes Beispiel einer postmodernen Identitat.

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