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Jüdische Spuren in... Eberswalde

01.November 2007 | Beiträge – jüdisches berlin | Aktivitäten

Zu DDR-Zeiten war Eberswalde, nordöstlich von Berlin, eine Hochburg der Schweinezucht. Hier wurde die sagenhafte Menge von 23 000 Tonnen Schweinefleisch jährlich verarbeitet. „Eberswalder Würstchen“ waren in der DDR eine beliebte Delikatesse. Doch schon im Jahre 1400 wurden im Eberswalder Stadtbuch Schlachter erwähnt, die freilich kein Schweinefleisch verarbeiteten, denn sie waren Juden. 1407 wird eine „Jodenstraße“ erwähnt und 1439 erhielt ein Jude das Bürgerrecht in Eberswalde.
Die erste Synagoge der Eberswalder, vorher gab es nur private Beträume, befand sich seit 1820 in der heutigen Kreuzstraße 28 im Altstadtzentrum, parallel zur Jüdenstraße. 1891 verkaufte die Gemeinde das zu klein gewordene Grundstück wieder und errichtete in der heutigen Goethestraße eine neue Synagoge – einen dreikuppligen Bau im maurischen Stil mit blau-weiß gekachelter Fassade. Die Blechkapsel mit der Spendenliste, die bei der Grundsteinlegung eingemauert worden war, wurde 1977 in den Trümmern gefunden und ist heute im Museum ausgestellt. 1931 setzte ein Blitzschlag die Synagoge in Brand. Nach dem Wiederaufbau erfolgte 1932 die Wiedereinweihung. In der Pogromnacht 1938 wurde die Synagoge angezündet und die Gemeinde schon am 10. November aufgefordert, das Gebäude abzureißen. Die Ruine wurde später völlig abgetragen. Heute befindet sich hier eine Gedenktafel.

Die Eberswalder Maria-Magdalena-Kirche in der Kirchstraße gehört zu den bedeutendsten hochgotischen Stadtpfarrkirchen Brandenburgs. Eine Besonderheit sind die zahlreichen antijüdischen Darstellungen. Das Bronzetaufbecken neben dem Altar, das um 1330 entstanden sein soll, steht auf drei Füßen, die Juden darstellen – erkennbar an den spitzen Hüten. Sie sind wahrscheinlich der älteste Beleg für Juden in der Region. In den Seitengängen gibt es an den Säulenkapitellen ebenfalls stereotype Judendarstellungen: eine so genannte Judensau (links, letzte Säule vom Eingang aus gesehen bzw. erste Säule links vor dem Altar) und einen Judenvogel – ein Raubvogel mit einem Judenhut auf dem Kopf (an der ersten Säule rechts vom Eingang aus gesehen). Am Eingang selbst sind linkerhand ebenfalls zwei Judenfiguren aus Terrakotta Teil des Portalschmucks – wieder ein Jude mit spitzem Hut und ein zweiter, der Jesus schlägt.

Eberswalde. Judendarstellungen am Taufbecken. Foto: Judith KesslerEberswalde. Kreuzstraße. Früherer Standort der Synagoge. Foto: Judith KesslerEberswalde. Jüdischer Friedhof an der Freienwalder Straße. Foto: Judith KesslerEberswalde. Jüdischer Friedhof an der Oderberger Straße. Foto: Judith KesslerEberswalde-Finow. Messingwerksiedlung. Die Villa Hirsch. Foto: Judith KesslerEberswalde-Finow. Messingwerksiedlung. Kupferhaus. Foto: Judith Kessler

Einen eigenen jüdischen Friedhof legten die Eberswalder Juden erst 1751 im Norden der Stadt an: in der heutigen Oderberger Straße, auf dem Gelände der Landesklinik. Im Volksmund hieß er das „Judengehäge“. Der älteste erhaltene Stein von 1784 gehört Zwi Hirsch, Sohn des Schmuel. 1851 wurde der Friedhof erweitert, 1862 mit einer Mauer aus Ziegeln umgeben. In der NS-Zeit soll der Friedhof nicht geschändet worden sein, in der DDR-Zeit wurde er jedoch fast völlig verwüstet, 1988 allerdings wieder hergerichtet. Heute gilt er als einer der schönsten und ältesten in Brandenburg. 1911 erwarb die Jüdische Gemeinde in der Freienwalder Straße im Süden Eberswaldes, hinter dem Waldfriedhof, ein zweites Friedhofsgrundstück. Von 18 Soldatengräbern aus dem Ersten Weltkrieg sind vier noch vorhanden. Auf dem Friedhof befinden sich insgesamt noch 53 Grabsteine, die in der DDR mittels eiserner Stützbänder „in Reih und Glied“ am Friedhofszaun angeordnet wurden. Beide Friedhöfe sind geschlossen, aber durch die Tore gut einsehbar.

Im westlich gelegenen Ortsteil Finow, in der Erich-Steinfurth-Straße und am angrenzenden Gustav-Hirsch-Platz, befindet sich die unter Denkmalschutz stehende Messingwerksiedlung. Das alltägliche jüdische Leben in Eberswalde war gegen Ende des 19. Jahrhunderts maßgeblich von der Expansion der „Hirsch Kupfer- und Messingwerke A.G.“ beeinflusst. Joseph und Gustav Hirsch hatten 1863 das Werk vom preußischen Staat gekauft und zu einem der größten Industriebetriebe der Region entwickelt. Das entstehende Dorf wurde nach der Fabrik „Messingwerk“ genannt. Die aus Halberstadt stammenden „Kupferhirschs“ hatten im Ersten Weltkrieg satte Gewinne erzielt und konnten 1920 am Oder-Havel-Kanal ein Neuwerk errichten. Die Oberschicht des Dorfes bestand, bis auf eine christliche Familie, aus orthodoxen Juden. Gustav Hirsch achtete streng darauf, dass alle jüdischen Mitarbeiter sich an den Schabbat hielten. Für sie gab es eigene Beträume. Auch der „Messingwerk-Kreis“, einer der Motoren der zionistischen Jugendkultur in Deutschland, entstand hier. Ihm gehörten unter anderem die aus orthodoxen Messingwerk-Familien stammenden Pinchas Rosen (Felix Rosenblüth) und Moses Calvary an. Rosen wurde später erster israelischer Justizminister, Calvary (ein Enkel Esriel Hildesheimers) war der pädagogische Kopf der jüdischen „Blau-Weiß“-Jugendbewegung. Die 1916 umgebaute Villa Hirsch in der Steinfurth-Straße 12 ist derzeit unbewohnt und befindet sich im Eigentumswechsel. Im dazugehörigen Nachbargebäude, Altes Hüttenamt, wurde 2006 an einem Balkon eine hölzerne Sukka entdeckt. Hier wohnte der Industrielle Aron Hirsch und im Haus mit der Sukka seine Tante Amalie, die Witwe Gustav Hirschs. Das Alte Hüttenamt gehört heute einer Wohnungsbaugesellschaft und wird derzeit für Wohnzwecke umgebaut. Die innen bemalte Sukka wurde wegen der Bauarbeiten geborgen und soll nach dem Willen der Denkmalpfleger später wieder an den alten Standort zurückkehren. Nach Ansicht von Experten ist sie etwas ganz Besonderes; ohnehin gibt es nur etwa zehn feste Laubhütten in Deutschland, die den Krieg überdauert haben.

Einmalig sind auch die Eberswalder Kupferhäuser: Die Hirschs hatten 1930 mit vorfabrizierten Kupferhaus-Bauelementen zu experimentieren begonnen. Sie produzierten Wandelemente aus geprägtem Stahlblech für die Innenseite und einer Kupferhaut für die Fassade sowie Kupferbleche mit Rautenmuster für die Dächer; allesamt leichte, einfach zu transportierende Bauelemente, für eine schnelle Montage und Demontage (die Häuser sollten laut Eigenwerbung von sechs Arbeitern in 24 Stunden aufzubauen sein). 1931 wurden links und rechts der Altenhofer Straße sieben Musterhäuser mit Namen wie „Kupfercastell“, „Juwel“ und „Frühlingstraum“ zum Test aufgebaut und zur Probe bewohnt. Sie stehen noch heute. Trotz teilweise per Eigenbau recht abenteuerlicher Veränderungen sind sie leicht zu erkennen. Durch die Auswanderung deutscher Juden in der NS-Zeit stieg der Bedarf an Wohnraum in Palästina immens an, ebenso wie das Interesse an vorfabrizierten Häusern, die sich für den Export dorthin eigneten. Die Hirschschen Kupferhäuser wurden nun unter Namen wie „Haifa“, „Jerusalem“ oder „Sharon“ angeboten. „Haifa“ ließ sich beispielsweise in 34 Pakete mit einem Gesamtgewicht von 15 313 kg verpacken. Ende 1933 waren die ersten von 14 Häusern in der Nähe von Tel Aviv und Haifa aufgebaut.  

Judith Kessler

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