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Matzeknödel im Paradies

30.Oktober 2009 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur

»Koscher & Co. Über Essen und Religion« – eine Ausstellung für alle Sinne im Jüdischen Museum Berlin

Ein Storch, ein Löwe, eine Wanderratte und anderes Getier, lebensgroß und -nah (da ausgestopft und vom Naturkundemuseum geliehen) begrüßen die Besucher. Sie stehen für das, was als nicht koscher/rein/erlaubt gilt. Wir befinden uns am Eingang der Essen-und-Religion-Ausstellung. Hier geht es um die »Schöpfung«, den berühmten Apfel und die Mühsal des Ackerbaus nach der Vertreibung aus dem Paradies, um das Wasser als reinigendes Medium aller Weltreligionen, aber auch um die biblischen »sieben Arten«, die hier nicht schnöde in Form neulich geernteter Feigen und Granatäpfel präsentiert werden, sondern die, fast so alt wie die Gesetze selbst, in handbeschrifteten Schaukästchen liegen: 4000 Jahre alter ägyptischer Weizenspreu und Datteln aus Mumiensärgen. Huuh. Das Museum bleibt sich treu – mit originellen, zuweilen »um die Ecke« gedachten (über 600) Objekten hangelt es sich intelligent und mit Lust an Stationen wie »Gesetz«, »Opfer«, »Das Mahl« oder »Genuss und Verzicht« durch die Kulturgeschichte des koscheren Speisens von den Ursprüngen bis in die Jetztzeit und berührt dabei immer auch Christentum, Islam und Hinduismus. Denn Speisegesetze und Gerichte, die durch theologisch überformtes Brauchtum entstanden sind, gibt es in jeder Religion. Und auch in einer säkularisierten Welt scheint der elementare Zusammenhang zwischen Essen und Religion immer noch allerorten durch.

So greift ein Raum die Bedeutung des Brotes für die Religionen auf. Nicht umsonst gibt es einen Segen über das Brot, das symbolisch für alle Speisen steht; die Challe am Schabbat zu segnen ist Weiterführung der antiken Tempelpraxis. Viele Kulturen kennen »Brot & Salz« zur Begrüßung und Symbolgebäck – hier zu sehen an Modeln für Purimgebäck und christliche Osterlämmer. In Form der Hostie steht Brot im Zentrum des christlichen Gottesdienstes und der Kommunikation mit Gott. Brot und Wein stehen für den Leib und das Blut Christi, werden sie verzehrt, ist er anwesend. Wein spielt seit der Antike eine wichtige Rolle bei Kulthandlungen – Weingenuss ist Gottesnähe, auch im Judentum, wo der Wein feste periodische Funktionen wie zu Purim und Pessach hat.

Im Raum »Fleisch« werden historische Koscherstempel, Schächtmesser und zeitgenössische Objekte wie der »Bug Checker« (der Käfer im Salat aufspürt) gezeigt, und es geht natürlich um das Schwein, das den Hindus, Moslems und Juden als unrein gilt, um die Kuh, die für Hindus heilig und damit tabu ist (wegen der Reinkarnationslehre sind viele Inder ohnehin Vegetarier) oder das gejagte Tier, dass bei den Moslems nicht »halal«, also erlaubt ist, es sei denn, der Jäger hat beim Abschuss ein bestimmtes Gebet gesprochen.

Fasten ist im Judentum auf wenige Tage beschränkt. Die christliche und hinduistische Askese mit ihren Säulenheiligen und Sufis, ihr Kampf gegen Völlerei und für ein Fasten-Ideal ist ihm fremd.

Ein Raum mit Bildern von Armenküchen und Lebensmittelmarken demonstriert »Das Brot des Elends«. Wie konnte man im Ghetto oder Lager (koscher) überleben? Das Schächten verboten die Nazis 1933, die gewerbsmäßige Mazze-Produktion 1938 und Karla Wagenberg schreibt über den Jom Kippur 1943 in Auschwitz: »Wenn die Leute nicht gefastet hätten, hätten Tausende noch überleben können… ich habe an diesem Tag geschworen: Niemals mehr«.

Purim bei den Breslawer Chassiden in Safed 1999, Foto: Menahem KahanaAuslösung des Erstgeborenen in Mea Schearim 2003, Foto: Menahem Kahana

Das Ungleichgewicht zwischen Anzahl der Koscher-Esser und jüdischen Kochbüchern ist eines der Themen im Raum »Identitäten«, der Objekte aus all den Welten zeigt, in denen es jüdische Migrantenkulturen gab oder gibt, die die lokale Küche der Kaschrut angepasst und »jüdische Gerichte« kreiert haben, von Gefilte Fisch bis Tscholent und Bagel mit Lachs.

Das Konzept der verbotenen Mischung ist ein Grundpfeiler der jüdischen Speisegesetze. Milch und Fleisch zusammen zu essen ist genauso verboten wie die Kreuzung bei der Tier- und Pflanzenzucht oder das Mischen von Wolle und Leinen. Um solche Mischungen in ihrer Garderobe auszuschließen, beschäftigen Orthodoxe »Schatnetz-Tester«. Für die meisten Menschen dürften solche Probleme marginal sein, für Lubawitscher (z.B.) sind sie das nicht. Sie verbannen auch Nichtkoscheres aus Kinderzimmern wie den Plüschbär Winnie Puh und Micky Maus. Dass es auch in der Bibel in Form von Kamelen oder Eseln und in der jüdischen Sakralkunst mit ihren Löwen und Adlern unkoscher kreucht und fleucht scheint hingegen nicht zu stören. Ein weites Feld…

Wie immer bietet das Museum zu all den Themen auch Interaktives an – Hörstationen (so ein Kiddusch nach jemenitischem Ritus und gastronomische Popsongs auf Jiddisch), flüsternde Teller und Töpfe, die mit symbolischen Speisen verbundene Feste wie das marokkanische Mimouna und das persische Nourus vorstellen, Filme, in dem Metzger das Schächten erklären oder Berliner Juden ihr Verhältnis zur Kaschrut, und: Rezepte, die man (je nach Selbsteinschätzung als 5-Minuten-, 5-Zutaten- oder Alle-5-Sinne-Typ) elektronisch einsammeln und am heimischen PC ausdrucken kann.

Quasi ein Muss zu der Ausstellung aber ist das üppig bebilderte Begleitbuch. Beleuchtet es doch – von wissenschaftlich oder erstaunlich bis ziemlich komisch – das Verhältnis von Essen und Religion von allen Seiten, befasst sich mit den Debatten um »Öko-Kaschrut«, Alkohol im Islam oder das jüdische/muslimische Schächten in der Bundesrepublik, erklärt die soziale Bedeutung des Essens und beantwortet auch weitergehende Fragen: Kann eine gläubige Jüdin einen Krokogürtel tragen oder sich eine Schweine-herzklappe einpflanzen lassen? (Ja, sie darf.) Es geht um Unfälle beim Granatapfelessen, die Bagel-Gewerkschaft »Local 338«, China-Restaurants, die »Moshe Peking« heißen, und Lieder, in denen das jüdische Essen zum Synonym für jüdische Existenz erhoben wird, Songs voller Vielfraße, Feinkosttheken, Hühnerfligl und »Augen wie Lattkes«. Man erfährt, wie viel Wurst die Koscherfleischerei in DDR-Berlin abgesetzt hat, dass Hühnersuppe – das »jüdische Penizillin« – auch Arafats Lieblingsspeise war und wie die Mazze im Zuge der Industrialisierung quadratisch oder in V wie Victory-Form gebacken zum Ideologie-Transporter wurde. Ideologisch ging es auch bei der (arabischen) Falafel zu, als sie zur israelischen Nationalspeise erhoben wurde, ebenso wie bei den kuriosen politischen Botschaften russischer Nahrungsmittel. Gibt es doch eine »Leninwurst« (mit Aufschrift »Guten Appetit, Genossen!«), übrigens eine Pferdewurst, oder die gern auch von jüdischen Migranten hierzulande gekaufte Pralinensorte »Abendliches Kiew«, illustriert mit dem Denkmal des Judenschlächters Chmelnizki.

Judith Kessler