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Problem Rente

14.November 2011 | Pressemitteilung | Gemeinde, Soziales

Von Stephan J. Kramer

Deutschland ist ein Sozialstaat. Ein sicherlich nicht vollständiges, im Verhältnis zu den meisten anderen Ländern der Welt aber doch gut ausgebautes System staatlicher Zuwendungen und Hilfen sorgt dafür, dass den ärgsten Auswüchsen von Armut begegnet werden kann. Vermeidbare Missstände wie Hunger, Wohnraummangel und mangelnde medizinische Grundversorgung gibt es in Deutschland nur in Ausnahmefällen. Diese soziale Hilfe ist subsidiär. Wer sich also selbst ernähren und versorgen kann, muss es auch tun. Eigenes Vermögen oder Einkünfte müssen eingebracht werden, bevor staatliche Hilfe greifen kann. Wo aber Hilfe nötig ist, muss sie geleistet werden. Diese Regeln gelten für alle in Deutschland lebenden Menschen, auch für die jüdischen Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, gleichermaßen.
Zwar gelten die deutschen Alterssicherungssysteme dank der Reformen der letzten Jahre als stabil und sicher, doch birgt die notwendige Absenkung des Rentenniveaus in den kommenden Jahren neue Risiken der Altersarmut. Zusätzliche private Vorsorge, zum Beispiel die Riester-Rente, eine betriebliche Altersvorsorge und die gesetzlichen Renten reichen für eine ausreichende Altersversorgung kaum aus. So wird gegenwärtig über eine steuerfinanzierte Zuschussrente diskutiert. Mit ihr soll denjenigen unter die Arme gegriffen werden, die ihr Leben lang gearbeitet und vorgesorgt haben, aber aufgrund niedriger Löhne und/oder Kindererziehung und Pflege keine ausreichende Zahl von Beitragsjahren erreichen konnten.
Altersarmut ist aber bereits heute ein ernstes Problem. Von den rund 19,9 Millionen Senioren, so die Zahlen aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, sind circa 400.000 beziehungsweise 2,4 Prozent auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen. Wie sich diese Bedürftigkeit im Alter in Zukunft entwickeln wird, lässt sich heute nicht zuverlässig voraussagen. Maßgebliche Faktoren sind die langfristige Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Einkommensentwicklung. Auch die Frage, wie viele Menschen in Zukunft allein stehend alt werden, spielt eine wichtige Rolle.
Wir haben es also mit zwei konzeptionell unterschiedlichen Arten von Leistungen zu tun. Die Renten sind ein Spiegelbild der Erwerbsphase und sollen dies nach dem allgemeinen politischen Willen aller Parteien auch bleiben. Sie können und sollen den Verlauf eines Erwerbslebens nicht nachträglich „reparieren“. Die Grundsicherung im Alter hingegen ist eine steuerfinanzierte Fürsorgeleistung für diejenigen, die im Alter nicht über ausreichende eigene Mittel verfügen. Der Kreis der Begünstigten wurde in den vergangenen Jahren immer wieder bewusst ausgeweitet. Ab 2012 übernimmt der Bund sogar die komplette Finanzierung der Leistung von den Ländern und Kommunen. Aktuell sind das vier Milliarden Euro jährlich.
Bei einer großen Anzahl unserer jüdischen Zuwanderer handelt es sich altersbedingt um Bezieher von Grundsicherung. Die demographische Entwicklung deutet darauf hin, dass die Zahl der Grundsicherungsbezieher in den kommenden Jahren weiter ansteigen wird. Genaue Zahlen gibt es nicht, da die Verantwortlichen eine Erhebung bisher ablehnen. Durch die Zuwanderung und durch den Bruch der Erwerbsbiographien bedingt, fehlen den meisten die für eine Rente notwendigen Jahre der Zugehörigkeit zum deutschen System der Rentenversicherung. Die früheren Erwerbsjahre in den Heimatländern werden nicht anerkannt, da weder Sozialversicherungsabkommen mit den Ländern in der ehemaligen Sowjetunion bestehen noch von dort tatsächliche Ausgleichszahlungen in die deutsche Rentenversicherung zu erwarten sind. Deshalb wird die Mehrzahl der Zuwanderer keine ordentlichen Ansprüche auf Leistungen aus der deutschen Rentenversicherung erwerben. Selbst diejenigen, die seit ihrer Zuwanderung aufgrund eigener Beitragsjahre in die Altersversorgung in Deutschland eingezahlt haben, erreichen kein ausreichendes Versorgungsniveau, um ohne Grundsicherung im Alter auszukommen. Sie werden sich auch nicht für die diskutierte Zuschussrente qualifizieren, denn hier werden mindestens vierzig Versicherungsjahre vorausgesetzt.
Zudem werden russische Altersrenten – andere Nachfolgerepubliken der UdSSR zahlen keine Renten nach Deutschland aus - auf die Grundsicherung angerechnet. Dies ist nach den geltenden Regeln der Einbringung von eigenen Leistungen und Vermögen auch verhältnismäßig und angemessen und gilt für jeden Bezieher der Grundsicherung gleichermaßen. Die Höhe von Freibeträgen steht bisher im Ermessen der kommunalen beziehungsweise der Landessozialbehörden. Hier gilt es soziale Härten in Einzelfällen zu vermeiden und bei den zuständigen Behörden vorstellig zu werden. Zuständig dafür sind die örtlichen jüdischen Gemeinden beziehungsweise die Landesverbände, nicht aber der Zentralrat der Juden in Deutschland. Viele Gemeinden leisten diese Hilfe für ihre Mitglieder – aber eben nicht alle.
Der Zentralrat setzt sich seit Jahren für eine Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Situation der jüdischen Zuwanderer ein. So ist es uns in den letzten Jahren gelungen, die Freistellung von Entschädigungsrenten und -zahlungen bei der Grundsicherung und Sozialhilfe zu erreichen. Auch die Gesetzesinitiative zur Anerkennung von ausländischen Ausbildungsabschlüssen wurde zumindest auf Bundesebene in jahrelanger Lobbyarbeit maßgeblich von uns mitbefördert. Die aber fast noch wichtigere Umsetzung auf Landesebene ist indessen zum Teil noch nicht einmal begonnen worden. Hier bleiben auch die Landesverbände der jüdischen Gemeinden gefordert. Lobeshymnen, wie sie zu Anfang des Jahres aus der Berliner Jüdischen Gemeinde zu hören waren, sind insofern mehr als verfrüht.
In der Frage der Bekämpfung von Altersarmut ist der Zentralrat auch in der Kommission „Regierungsdialog Rente“ beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales direkt vertreten. Zu den konkreten Vorschlägen des Zentralrats für die Bekämpfung von Altersarmut gehört neben zusätzlichen steuerfinanzierten Fürsorgezuschüssen auch die Freistellung von zusätzlichen Einkommen im Alter. Viele Senioren sind im Alter noch fit und wollen und können durch Minijobs, Kinderbetreuung, Nachhilfe oder ähnliche Tätigkeiten weiter arbeiten. Ein solches Engagement ist nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für das Selbstwertgefühl und nicht zuletzt auch die finanzielle Situation der Betroffenen gut. Der Regierungsdialog ist eröffnet, und wir werden die Interessen unserer betroffenen Mitglieder weiterhin mit Nachdruck vertreten. Gleichwohl muss vor zu großen Hoffnungen gewarnt werden, denn die Sozialkassen sind nicht erst seit der Wirtschafts- und Finanzkrise chronisch unterfinanziert, und der politische Wille weitere Vergünstigungen zu gewähren, ist eher zurückhaltend. Etwaige Änderungen des geltenden Rentenrechts sollen im Gesetzgebungsverfahren bis zur Sommerpause 2012 erfolgen und zum 1. Januar 2013 in Kraft treten.

Der Autor ist Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland

 

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