Beitragssuche

Datum / Zeitraum:
Beitragsart:
Kategorie:

Rede von Klaus Lederer, Die Linke

15.Januar 2009 | Redaktioneller Beitrag | Politik

anläßlich der Solidaritätskundgebung für Israel am 11.01.2009

Meine Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,

es fällt mir nicht leicht, hier heute zu sprechen. Das hat mit dem Aufruf zur heutigen Kundgebung zu tun, der eine Solidarität einfordert, die ich so nicht geben kann. Weil ich als Sozialist eine grundsätzliche Schwierigkeit habe, mich pauschal mit Institutionen und Staaten solidarisch zu erklären. Meine Solidarität gehört Menschen. Menschen in Bedrohung und Menschen in Not.

Warum ich hier dennoch spreche, ist kurz erklärt: Die Tatsache, dass in den vergangenen Wochen Demonstrationen stattgefunden haben, auf denen „Tod, Tod Israel!“ skandiert wurde, finde ich unerträglich. Und ich bin der Ansicht, dass der brutale und bittere Konflikt im Gazastreifen und im Süden Israels keinerlei Anlass sein darf, um darauf hier in unserem Land ein antisemitisches Süppchen zu kochen. Damit meine ich auch die hin und wieder ausgesprochene zynische Erwartung an Jüdinnen und Juden, sie hätten bessere Menschen zu sein als alle anderen.

Deshalb bin ich hier: Weil ich auch in einer solch schwierigen Situation jedem Antisemitismus entgegentreten und dies auch hier bekunden will. Liebe Freundinnen und Freunde, Sie sollen sich, was das anbetrifft, meiner und unserer Haltung absolut sicher sein. Nichts, aber auch gar nichts, rechtfertigt den Abschuss von Mörsergranaten und Raketen auf Wohngebiete der Zivilbevölkerung, auf Ashdod, Beer-Sheva und Ashkelon. Das ist für mich der Ausgangspunkt der Diskussion, die in unserem Land angesichts solcher Demonstrationen zu führen ist. Und deshalb sage ich auch: Diese Angriffe müssen aufhören.

Ich bedaure außerordentlich, dass das Jubiläumsjahr Israels, das 60. Jahr seiner Gründung, so endet, wie es sich niemand von uns gewünscht hat: mit Krieg. Wir wollen, dass der Nahe Osten endlich in Frieden und Sicherheit gedeihen kann. Das Existenzrecht Israels ist nicht in Frage zu stellen, nicht mit Parolen und nicht mit Raketen. Das kann nicht oft genug wiederholt, das muss immer wieder gesagt werden. Und mit dieser Sicht sind Sie hier, sind wir hier, zum Glück nicht allein.

Liebe Freundinnen und Freunde,
meine Gedanken sind dieser Tage oft bei meinen Freunden in Israel, die seit Jahren mit der Angst leben müssen, von Raketeneinschlägen getroffen zu werden, genauso bei den Zivilisten im Gazastreifen, bei den Frauen und Kindern, die die Leidtragenden des augenblicklichen Krieges sind. Bei den Opfern kann und werde ich als Sozialist und Humanist nicht unterscheiden zwischen den einen und den anderen. Mit Krieg verbindet sich nicht nur unendliches Leid. Krieg verändert auch die Menschen auf allen Seiten, und Krieg verbindet sich seiner Natur nach im Grunde immer mit unfassbaren Gräueltaten und Verbrechen.

Frauen, Greise, Kranke, Kinder – all diejenigen, die dieses Leid ertragen müssen, haben mein Mitgefühl und meine Solidarität. Das Opfern Unschuldiger kann nicht gerechtfertigt werden, weder politisch noch moralisch. Egal, ob sie durch die tödlichen Raketen der Hamas getroffen werden, oder ob sie durch Luftangriffe zu Leid kommen, wenn UN-Schulen im Gazastreifen ins Visier kommen. Egal, wie hochentwickelt die Waffensysteme sind, die zum Einsatz kommen, egal, wer den Krieg führt, das Desaster trifft zuallererst die Zivilbevölkerung. Nicht zuletzt deshalb, weil die Geiselnahme der zivilen Bevölkerung zum Wesen des modernen Krieges gehört, und zwar gerade in der asymmetrischen Konfliktstrategie, wie sie die Hamas strategisch verfolgt.

Krieg und militärische Eskalation schaffen niemals aus sich selbst heraus Lösungen für Konflikte, sondern sie schaffen neue Probleme, Zerrissenheiten, Traumata. Und sie legen den Keim für neuen Hass. Das, nichts anderes, ist der Grund, warum das Völkerrecht militärische Auseinandersetzungen dem Prinzip nach verurteilt. Zu Recht. Da gibt es für mich auch nichts zu diskutieren.

Und so ist meine größte Angst, und treibt mich die Sorge um, dass dieser Krieg mit jedem Tag, den er länger andauert, den Kräften in die Hände spielt, die versuchen, mittels einseitiger gewaltsamer Handlungen die Oberhand zu gewinnen. In dieser Auseinandersetzung kann Krieg niemandem die Oberhand verschaffen. Was ist, wenn die Raketen, die fundamentalistische Fanatiker in den Gazastreifen schaffen, einmal 50 oder 100 Kilometer Reichweite haben und waffentechnologisch zielgenauer sind als die Kassam-Raketen und Mörsergranaten von heute? Wie soll so eine Lösung aussehen?

Ein sicheres Israel in Frieden und ein sicheres Palästina in Frieden - dieses Ziel lässt sich letztlich nicht durch militärische Überlegenheit erreichen, sondern nur durch politische Übereinkunft. Deshalb ist jede militärische Eskalation eine schwere Hypothek für den Frieden im Nahen Osten. Je schneller die Waffen wieder schweigen, desto besser ist es. Und deshalb bin ich getroffen davon, dass die Vorstöße für einen Frieden im Nahen Osten derzeit keine Unterstützung der beiden beteiligten Seiten finden, dass die Resolution 1860 des UN-Sicherheitsrates, gerade erst in Kraft getreten, schon wertlos zu sein scheint.

Ich teile die Einschätzung des israelischen Sicherheitschefs Amos Gilad, dass es bis zum heutigen Tag „keine optimale militärische Lösung“ für den Gazastreifen gäbe und Militäreinsätze nicht das Allheilmittel sind, um die Probleme des Nahen Ostens zu beseitigen. Auch Zbiegniew Brzezinski, die graue Eminenz von Jahrzehnten US-amerikanischer Außenpolitik, und – das glauben Sie mir sicher – nicht unbedingt mein Freund, rät, sich nicht auf militärischer Stärke auszuruhen, sondern ernsthaft eine Verhandlungslösung anzustreben. Ich meine, das sind Stimmen der Vernunft in der gegenwärtigen Situation, und ich hoffe inständig, dass sich diese Stimmen stärkeres Gehör verschaffen können.

Bei jedem Militäreinsatz stellt sich erneut die Frage: Was kommt danach? Ich habe große Sorge, dass sich das Trauma des Libanonkrieges wiederholt. Ich habe Angst, dass die Zustände im Gazastreifen die Menschen in Scharen in die Arme derjenigen treiben, die Israel für alle Probleme in Nahen Osten verantwortlich <personname>mac</personname>hen und ihren Heiligen Krieg bis zum Ende weiterführen wollen. Ich habe die Befürchtung, dass die Stimmen der Vernunft und der Mäßigung auf beiden Seiten keine Chance mehr haben, wahrgenommen zu werden.

Und ich habe die schließlich die Angst, dass die großen Verlierer dieses Krieges diejenigen sein werden, die nach wie vor darauf setzen, dass es einen Tag geben wird, an dem Israelis und Palästinenser friedlich Seite an Seite in zwei souveränen Staaten leben werden, und zum beidseitigen Vorteil und als internationale Akteure im Interesse der Humanität existieren.

Hier ist auch die internationale Staatengemeinschaft gefordert, die sich – wie alle Institutionen im internationalen Kräftegefüge – nach wie vor interessengeleitet und bigott verhalten, nicht zuletzt motiviert durch ökonomische Interessen, die sich in ihnen manifestieren. Ich meine, das Gebot der Stunde kann nur darin bestehen, die gemäßigten Kräfte unter den Palästinensern zu unterstützen, kraftvoll und mit allen Mitteln, sowie darin, Hunger, Armut und die medizinische Versorgungskatastrophe entschieden zu bekämpfen. Nur so haben Frieden und Vernunft dauerhaft eine Chance.

Liebe Freundinnen und Freunde,
ich schließe hiermit und bleibe dabei: Niemand hat das Recht, seine politische Kritik am Gazakonflikt in Antisemitismus umzumünzen. Keinem Menschen ist geholfen, wenn ungelöste Konflikte und militärische Auseinandersetzungen im Nahen Osten hierzulande als heilige und Gesinnungsauseinandersetzungen geführt werden. Das hieße Öl ins Feuer zu gießen. Antisemitismus gilt es entschlossen entgegenzutreten.

Einen Krieg kann ich nicht rechtfertigen. Das einzige, was schließlich zählt, ist ein dauerhafter Frieden, der auf Übereinkunft beruht und durch die internationale Gemeinschaft unterstützt und flankiert wird. Scharf zu kritisieren ist jede Zuspitzung, die diesen Weg erschwert. Vernünftig ist nur, alles zu tun und zu unterstützten, was diesen Weg eröffnet.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Rede von Klaus Lederer, Die Linke