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Spuren einer verlorenen Sammlung

28.September 2011 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur

Eine Ausstellung im Centrum Judaicum erinnert an das erste Berliner Jüdische Museum 1933–1938

Beim Begriff »Jüdisches Museum Berlin« denken die meisten an Libeskinds berühmten Bau mit seiner Sammlung. Nur Wenigen ist bekannt, dass Berlin von 1933 bis 1938 bereits schon einmal ein Jüdisches Museum von Weltrang besaß. Am 24. Januar 1933 in der Oranienburger Straße 31 – neben der Neuen Synagoge in der zweiten Etage des Vorder- und Seitengebäudes – mit viel Prominenz eröffnet, war es seinerzeit nicht nur das größte, sondern mit seiner modernen Präsentation und einem pädagogischen Programm auch das erste jüdische Museum der Moderne. Nur eine Woche nach der Eröffnung traten die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland an. Die brutale Verdrängung der Juden aus Gesellschaft und Kultur begann. Am 10. November 1938 wurde das Museum von den Nazi-Behören gewaltsam geschlossen, seine Sammlung beschlagnahmt. Auch die Miniatur auf unserem Cover, die eine »Frau Enoch aus Scieracz« zeigt, war Eigentum des Museums, wurde nach der Beschlagnahmung 1938 geraubt und in Polen ausgelagert und kehrte später über Russland nach Berlin zurück.

Erstmals hat nun das Centrum Judaicum unter Leitung von Hermann Simon und Chana Schütz die Bestände des Museums und deren Verbleib recherchiert (ein schwieriges und mühevolles Unterfangen, da die eigentlichen Bestandsverzeichnisse verschollen geblieben sind und die Sammlung aus verschiedensten Quellen rekonstruiert werden musste) und einige Stücke für eine Ausstellung zurückholen können.

Den Grundstock für das Museum hatte eine Schenkung des Dresdner Juweliers Albert Wolf gelegt, der 1905 seine umfangreiche Judaica-Sammlung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin vermachte. Doch erst 1917 wurde sie unter dem Namen »Kunstsammlung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin« in den Verwaltungsräumen der Oranienburger Straße 29 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Finanziell schlecht ausgerüstet, führte die Sammlung zunächst ein Schattendasein, was sich erst durch das Engagement des Kunsthistorikers Karl Schwarz ändern sollte, der seit 1927 am Museum angestellt, ab 1930 die Leitung der Sammlung übernahm. Unter seiner Ägide wurde sie nicht nur in ein Museum überführt, sondern auch inhaltlich einem modernen Konzept unterstellt. Die Kunstsammlung wuchs enorm an. Ihr Bestand umfasste Gemälde, Kultgeräte, Objekte des Altertums und der Volkskunst, Münzen und Medaillen. 1934 hatte die grafische Sammlung bereits etwa zehntausend Blatt sowie ebenso viele Fotos und Diapositive, die für Forschungszwecke genutzt wurden. Ganz im Sinne der von Max Osborn in der Gründungsversammlung des Museumsvereins 1929 betonten Maxime »ein Spiegelbild jüdischen Kunstschaffens von der ältesten Zeit bis auf unsere Tage« zu sein, wurden bedeutende Kunstwerke erworben: der »Jude im Gebet« von Marc Chagall (1913/14) oder auch das Monumentalgemälde »Der Prophet« von Jakob Steinhardt (1913/14) – heute eine Ikone des Expressionismus und einziges erhalten gebliebenes großformatiges Bild des Bestandes. Nicht minder bedeutend war die Sammlung modernen Kultgeräts, die Schwarz, der sich nicht »nur« als Kurator verstand, sondern auch als direkter Auftraggeber für Künstler fungierte, zusammentrug. Er erwarb – so fanden Chana Schütz und ihr Team heraus – zum Teil extra für das Museum angefertigte Arbeiten von Kunsthandwerkern wie Ludwig Yehuda Wolpert, Harry Rosenthal oder Bernhard Friedländer. Sie sind heute ausnahmslos verloren. Stellvertretend wird in der Ausstellung eine Etrog-Dose von Emmy Roth gezeigt, die sich seit 1930 in der Neuen Sammlung München befindet.

Die Kuratoren der Ausstellung haben rekonstruiert, wo sich die Räume des Museums befanden. Heute sind hier im 2. Stock des Seitenflügels der Oranienburger Straße 31 Gemeindebüros untergebracht. Foto: Franziska OlhornJüdisches Museum Eingangshalle, ca. 1933, Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum

Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten bot das Museum den vom Ausstellungs- und Berufsverbot betroffenen Künstlern in Frühjahrsausstellungen Möglichkeiten ihre Werke zu zeigen und zu verkaufen. Es war einer der wenigen Orte, in denen Werke von Künstlern wie Josef Izraels, Camille Pissaro oder Lesser Ury noch gesammelt und öffentlich gezeigt wurden. Identitätsstiftende Ausstellungen, die sich bedeutenden jüdischen Gelehrten widmeten, wandten sich vor allem an die jüdische Jugend – hier wurde sie mit Kunst und jüdischen Gebräuchen und Werten vertraut gemacht. Nicht zuletzt war das Museum ein Ort, der »unseren gequälten Glaubensgenossen eine Erholungsstätte bedeutet, in der sie eine Weile ihre Sorgen vergessen«, wie Franz Landsberger konstatierte (er war der nach Karl Schwarz und Erna Stein letzte Museumsdirektor).

Nach Kriegsende 1945 wurden in den Kellerräumen der ehemaligen Reichkulturkammer in Charlottenburg 280 Gemälde der Museumssammlung wiedergefunden. Die Bilder wurden Gegenstand eines Restitutionsverfahrens und im Zuge dessen über die ganze Welt, nach Israel, in die USA und nach Großbritannien verteilt. Eine repräsentative Auswahl – darunter Werke von Moritz Oppenheim wie »Sabbatnachmittag« (um 1866), Lesser Urys berühmtes Werk »Potsdamer Platz bei Nacht« (1928) oder ein Selbstbildnis Max Liebermanns werden nun in unmittelbarer Nachbarschaft des Museums, in den historischen Räumen der Neuen Synagoge auf der ehemaligen Frauenempore, nach 70 Jahren erstmals wieder gezeigt.

Die Ausstellung rekonstruiert dabei auch die einstige Eingangshalle des Museums mit Steinhardts »Prophet«, Arnold Zadikows Skulptur »David« (1921) sowie Jean Pierre Tassearts Moses Mendelssohn-Büste (1795). Die damals ebenfalls dort ausgestellten Bilder, unter anderem von Samuel Hirszenberg und Felix Nussbaum, sind weiterhin verschollen, wie die meisten anderen Objekte auch. Dennoch konnten dank der bisherigen Recherchen auch einige Stücke ausfindig gemacht werden: Unter anderem kehrt für die Dauer der Ausstellung ein kupfernes Waschgefäß von 1832 zurück, das aus der ältesten Berliner Synagoge in der Heidereutergasse stammt und sich heute im Jüdischen Historischen Institut in Warschau befindet.

Sarah Kuznicki

_«Auf der Suche nach einer verlorenen Sammlung. Das Berliner Jüdische Museum 1933–1938«: bis 30. 12., So–Mo 10–20, Di–Do 10–18, Fr 10–14 Uhr. 3,-/2,50