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Von körperfreien Schatten und schattenwerfenden Körpern

01.März 2012 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur

Karol Broniatowski, Erschaffer des Denkmals für die ermordeten Juden an Bahnhof Grunewald stellt Gouachen im Polnischen Institut Berlin aus

Karol Broniatowski wurde am 23. April 1945 im gerade von der Roten Armee befreiten Łódź geboren. Sein Vater hatte am spanischen Bürgerkrieg teilgenommen und in Frankreich studiert, er und Karols Mutter hatten als Juden in der Sowjetunion überlebt. Die Familie ging nach dem Krieg nach Warschau und 1964 begann Karol hier an der Akademie der Bildenden Künste Bildhauerei zu studieren. Schon 1972 vertrat er Polen auf der XXXVI. Biennale in Venedig – mit »Zeitungspapierfiguren«, die in den folgenden Jahren um die halbe Welt wandern werden, von Sao Paolo bis Paris. Analog den altägyptischen schreitenden Figuren aus Stein oder auf Papyrus hatte Broniatowski lebensgroße, schreitende Figuren aus Zeitungspapier geschaffen, die er in verschiedenen Konstellationen gruppierte oder auch von der Decke herab laufen ließ. »Gesichtslose Menschen, beim Einmarsch oder Lauf festgehalten, wurden aus dem mit Polyesterharz laminierten, versetzten Papier geformt, das ein wüstes Durcheinander von Texten und Titeln durchscheinen ließ – den ganzen alltäglichen Wirrwarr von Informationen, Kommentaren und Falschmeldungen, von denen sich das Kollektivbewusstsein der von Lesefähigkeit ›betroffenen‹ Gesellschaft nährt«, schrieb die polnische Kunsthistorikerin Anda Rottenberg.

Sie war es auch, die Broniatowski 40 Jahre nach diesen Arbeiten zur Teilnahme an der großen, von ihr kuratierten Ausstellung »Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte« im Berliner Martin-Gropius-Bau einlud, die diesen Januar zuende gegangen ist. Hier zeigte der Künstler – der seit 1976 in Berlin lebt, Mitglied der Jüdischen Gemeinde ist und etliche Skulpturen im Berliner öffentlichen Raum geschaffen oder angeregt hat (unter anderem gewann er nach dem »Wasserklops« den 2. Preis mit seinem Entwurf für die Neugestaltung des Breitscheidplatzes und beteiligte sich am Wettbewerb um das Denkmal für die Synagoge/Deportationssammelstelle in der Levetzowstraße) – einen Film über seine wichtigste Arbeit: Das 1991 am Bahnhof Grunewald realisierte »Mahnmal für die deportierten Juden Berlins«. Die Hohlformen, die Broniatowski dazu in einen 20 Meter langen Betonblock eingelassen und mit einer sechs Meter großen Säge auseinandergeschnitten hatte, wirken wie Schatten von Menschen, die nicht mehr da sind, wie die Ausgrabungen von Pompeji. Als Schatten von Hohlräumen, als Negative vom Negativ sind sie quasi doppelt abwesend, doppelt leer, doppelt anonym. Sinnbild eines Nichtsmehr, Verlusts, Unaussprechlichen.

Karol Broniatowski vor zwei seiner Arbeiten im Polnischen Institut. Foto: Judith KesslerBroniatowskis Denkmal für die ermordeten Juden Berlins am Bahnhof Grunewald. Foto: MichHerrKarol Broniatowski: Gouache

Zwischen dem Beginn seines Schaffens, dem Grunewald-Denkmal und den Gouachen, die er seit den 80ern immer wieder aufnimmt, liegen vier Jahrzehnte, in denen er zu einem der wichtigsten polnischen Bildhauer wurde. Nach den Papiermännern begann Broniatowski mit dem Zyklus »Big Man«, einer fast 19 Meter hohen Silhouette (»so wie die höchste Tanne vor meinem Atelier«), die er in 93 Flächen teilte und jede einzelne in Zeitungsstapeln und Granit nachbildete. Wie die schreitenden Männer befinden sich die Teile inzwischen verstreut auf der ganzen Welt in allen möglichen Sammlungen und sind nur noch in der Phantasie als Eins denkbar. Es folgten 93 Eier aus sich gegeneinander spiegelnder Bronze, 93 Klopfsignale in Morsezeichen und 93 nur linealgroße voranschreitende Bronzefiguren, die ebenfalls – »Kein Ort. Nirgends« – quasi heimatlos hier und dort Plätze beanspruchen und wieder verlassen können. Vergänglich, wie die Köpfe aus Sand, die Broniatowski am Ende der 70er Jahre begann, in Gipsformen zu modellieren und die nach dem Abnehmen dieser Hüllen langsam zerfielen (später entstanden bronzene Selbstporträts, die ebenfalls »liquid«, schichtweise auf- und abbaubar waren). George Tabori beschreibt Karols Sandskulpturen(ab)bauten: »…the face is beautiful in its perilous repose; no matter how carefully he removes the segments, grains of sand run down, an ear begins to crumble, a kind of exhilarating disaster hangs in the air… With Br.[oniatowki] art is as shortlived as life. Here he is offering a model for eternity that lasts fifteen minutes«.

Broniatowskis heutige großformatige schwarze und rote Silhouetten auf weißem Grund sind konsequente Fortsetzung seiner Bronzen und der Vorarbeiten auch an dem Grunewald-Denkmal. Sie erinnern an die flachen, von jener Mauer abgenommenen Abdrücke, die Leerstelle. Doch haben sich die körperlosen Schatten von einst nun zu Schatten mit Körpern, schattenwerfenden Körpern – zum Leben – gewandelt.

Das Polnische Institut Berlin in Mitte zeigt bis 5. April eine Auswahl dieser Gouachen Broniatowskis: lebensgroße, dreidimensional wirkende leuchtend rote, üppige Frauenfiguren (eine ziert die Rückseite dieser Ausgabe), die sich nur auf den ersten Blick ähneln, aber ihren Charakter je nach Stimmung, Licht und Blickwinkel, nach Pinselstrich und Farbauftrag ändern, mal wie Rückenansichten und mal – wenn der Künstler eine zweite, weiße Farbschicht und Figur appliziert hat – wie in Drehung begriffen aussehen. Wenn man sie anschaut, im Polnischen Institut in der Burgstraße, hat man die Alte Nationalgalerie im Rücken – und Bewegung vor sich.

Judith Kessler

_Karol Broniatowski. Gouachen. Polnisches Kulturinstitut, Burgstraße 27, 10178 Berlin, Di–Fr 10–18 Uhr