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Wieder ein »Guter Ort«

24.Oktober 2008 | Beiträge – jüdisches berlin | Gemeinde

Nach umfangreichen Restaurierungsarbeiten wurde der jüdische Friedhof an der Großen Hamburger Straße Ende September wiedereröffnet

Der älteste jüdische Friedhof Berlins in der Großen Hamburger Straße in Mitte wurde in den letzten zwei Jahren mit Mitteln des Berliner Senats, des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge und der Jüdischen Gemeinde aufwändig in Stand gesetzt und Ende September mit einer kleinen Zeremonie wieder für Besucher geöffnet.

Der Friedhof ist heute das wichtigste noch erhaltene Zeugnis der Neugründung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin im Jahr 1671, als Kurfürst Friedrich Wilhelm aus Wien vertriebene Juden wieder ins Land ließ. Genau 100 Jahre nach ihrer Vertreibung aus der Mark Brandenburg sollten sie das durch den 3o-jährigen Krieg verwüstete Land zusammen mit Hugenotten und Niederländern wieder aufbauen. Lange vor der 1714 erbauten Alten Synagoge in der Heidereuther Gasse, nämlich bereits ein Jahr nach der Wiederzulassung, erwarb Mordechai Model, genannt Model Riess, ein Grundstück zur Anlage eines Friedhofs in der Spandauer Vorstadt und übergab es an die noch kleine, aus 40 Familien bestehende Gemeinde. Damals lag der Friedhof auf freier Flur vor der Stadtmauer. Aber schon bald war er an allen Seiten von Häusern umgeben und diente der stetig wachsenden Gemeinde bis 1827 als »Guter Ort«. 

Zum Zeitpunkt seiner Schließung war der Friedhof vollständig belegt, etwa 12 000 Menschen waren dort bestattet worden – unter ihnen der 1786 verstorbene Philosoph und Aufklärer Moses Mendelssohn. Seine Freundschaft mit Gotthold Ephraim Lessing, der ihm in seinem Ideendrama »Nathan der Weise« ein Denkmal setzte, wurde zu einem frühen Symbol der so genannten deutsch-jüdischen Symbiose. Obwohl Juden in Preußen erst 1812 unter dem Eindruck der Französischen Revolution als Staatsbürger emanzipiert wurden, erscheint uns heute das Grab Mendelssohns – wenn auch durch einen neuzeitlichen Grabstein und an falscher Stelle markiert – als ein bedeutsamer Hinweis auf eine Entwicklung, die schließlich (erst) in der Weimarer Republik zur völligen rechtlichen Gleichstellung der Juden in Deutschland führen sollte. Zu diesem Zeitpunkt war der Friedhof seit nahezu 100 Jahren geschlossen und zu einer verwunschenen, grünen Oase geworden, die hinter den Häusern der Spandauer Vorstadt versteckt lag.

Eines dieser Häuser war das 1828 erbaute Altenheim der Jüdischen Gemeinde. Für die Bewohner war ein Rundweg angelegt worden und der Friedhof diente ihnen fortan als Ort der Erholung. Ab 1942 wurde das Altenheim einer der Plätze, von denen der Untergang dieser zweiten Berliner Jüdischen Gemeinde ihren Ausgang fand. Die Gestapo verwandelte es in ein Sammellager. Mehr als 50 000 Berliner Juden wurden hier für den Abtransport in die KZs zusammen getrieben. Die Gestapo ließ den Friedhof beräumen und ›nutzte‹ ihn als Sportplatz und Gefängnishof. 1943 ließ sie einen Splittergraben durch den Friedhof ziehen und die dabei ausgehobenen Gebeine achtlos beiseite werfen. In den letzten Kriegswochen schließlich wurden in 16 Massengräbern 2 427 zivile Kriegsopfer, aber auch Soldaten und SS-Angehörige begraben. 

Nach Jahren der Vernachlässigung und der Umwandlung in eine banale Grünanlage sowie dem Abriss der Altersheimruine war dieser Ort kaum noch als Friedhof und Zeugnis der Geschichte erkennbar. Dem Beharrungsvermögen Dr. Büchners von der Stadt- und Freiraumplanung ist es zu verdanken, dass über mehrere Jahre hinweg im Senatshaushalt Gelder für den Friedhof fortgeschrieben wurden. Nach einem langen, schwierigen Planungs- und Abstimmungsprozess konnte 2007 endlich mit den Arbeiten zur Sanierung begonnen werden. Die ausführenden Firmen – Gartenbau Fehmer, Metallbau Schult, Betonbau Baron, die Landschaftsarchitekten Hübinger und Jacobs sowie die Bauabteilung der Gemeinde unter Beate Musiol – hatten eine große logistische Leistung zu bewältigen. Der Friedhof sollte nach halachischen Regeln in Stand gesetzt werden, er wurde neu eingefriedet, eine ihn durchschneidende Mauer wurde durch einen transparenten Zaun ersetzt, Wege wurden erneuert und die Gräberfelder mit Efeu bepflanzt. Am neu geschaffenen Eingangsbereich wurden ein Wasserbecken zum rituellen Händewaschen installiert und eine Gebetstafel angebracht. Die Lage der Sammelgräber aus dem Zweiten Weltkrieg wurde durch eine Informationstafel verortet. Unter Aufwendung erheblicher Mittel der Jüdischen Gemeinde wurde in einem zweiten Schritt die Fläche des früheren Altenheims wieder erkennbar gemacht. Diese war bereits in den 1980er Jahren unter Aufstellung einer Figurengruppe Will Lammerts als Gedenkstätte gestaltet worden. Jetzt nun wurden die Grundmauern des Heims durch Suchgrabungen ermittelt und durch Aufmauerungen bis an die Erdoberfläche die historische Raumstruktur wieder sichtbar gemacht. Quer über diese Struktur wurden erkennbar neuzeitliche Wege gelegt. 

Der Friedhof und die Gedenkstätte sind nach Abschluss dieser Arbeiten wieder zu würdevollen Orten und sprechenden Geschichtszeugnissen geworden. Es ist zu hoffen, dass zahlreiche jüdische und nichtjüdische Berliner und Besucher ihren Weg hierher finden. 

Auch für einen zweiten Gemeindefriedhof gibt es gute Nachrichten. Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat am Tag der Wiederöffnung an der Großen Hamburger Straße im Rahmen des Sonderprogrammes Denkmalschutz 995 000 Euro für den Jüdischen Friedhof in Weißensee genehmigt. Und Kulturstaatssekretär André Schmitz kündigte an, dass sich der Berliner Senat ebenfalls mit einer Million Euro beteiligen wolle. 

Joachim Jacobs/Benno Bleiberg

 

Nachtrag: Wenige Tage nach der Eröffnung beschmierten Unbekannte am 29. September eine der neuen Info-Tafeln auf dem Friedhof mit antisemitischen Parolen und Hakenkreuzen.

Der jüdische Friedhof an der Großen Hamburger Straße, Foto: Nadine BoseGrabstein von Moses Mendelssohn, Foto: Judith Kessler