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Zur Beschneidungsdebatte

02.September 2012 | Beiträge – jüdisches berlin | Religion, Israel, Gesellschaft

Nach einem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Köln vom Juni 2012 im Anschluss an eine misslungene Beschneidung durch einen muslimischen Arzt ist die religiös begründete Beschneidung von Jungen künftig als Körperverletzung zu werten und damit strafbar und illegal. Damit stellt erstmals ein deutsches Gericht den religiösen Brauch unter Strafe, der, so das Gericht, den Körper des Kindes »dauerhaft und irreparabel verändern« würde, was weder das Elternrecht noch die im Grundgesetz garantierte Religionsfreiheit rechtfertigen könnten.

Das Urteil hat vor allem bei Muslimen und Juden sowie Medizinern für Empörung gesorgt. Der Zentralrat der Juden in Deutschland kritisierte das Urteil als »beispiellosen und dramatischen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften« und verwies darauf, dass die Beschneidung von neugeborenen Jungen fester Bestandteil der jüdischen Religion sei und seit Jahrtausenden weltweit praktiziert werde. Er forderte den Deutschen Bundestag als Gesetzgeber auf, Rechtssicherheit zu schaffen und so die Religionsfreiheit vor Angriffen zu schützen. Unterstützung kam auch vom israelischen Obberrabbiner Yona Metzger, der extra aus Israel angereist kam. Inzwischen befasst sich der Ethikrat und demnächst der Bundestag mit dem Thema. Meinungen aus dem Umfeld unserer Gemeinde:

 

Gedanken zum Beschneidungsurteil aus ärztlich-jüdischer Sicht

Nach dem klinischen Wörterbuch von Pschyrembel (263. Auflage, 2012) wird die Beschneidung medizinisch als Zirkumzision bezeichnet, chirurgisch wird darunter die Abtrennung der Penisvorhaut durch einen zirkulären Schnitt »z.T. auch aus kulturellen od. hygien. Gründen« verstanden. Die kulturellen Gründe meinen im jüdisch-halachischen Sinn die Beschneidung (Berit Mila) als grundlegendes Gebot des Judentums. Berit ist der biblische Ausdruck für ein Treueverhältnis vor allem zwischen Gott und Israel (»Bund«), ein Treueverhältnis, das im Laufe der über 3000-jährigen Geschichte im Judentum eingehalten wurde und wird. Allerdings gab es bereits in der Antike Versuche der Feinde Israels, dieses Treueverhältnis mit Gewalt zu zerstören. So wurde die Berit Mila erstmals von Antiochos IV. Epiphanes, der von 175 bis 164 vor Beginn der bürgerlichen Zeitrechnung regierte, bei Todesstrafe verboten (Schoeps: Neues Lexikon des Judentums, 1998). Das Landgericht Köln hat zwar nicht die Todesstrafe verhängt, es urteilt jedoch, dass die religiöse Beschneidung Minderjähriger eine Körperverletzung darstelle.

Nach § 223 StGB gilt als eine Körperverletzung »(1) Wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit beschädigt wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.« Führt man diesen Gedanken fort, wäre auch zu erörtern, ob es sich um eine gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB) handelt, und zwar »2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs«, nämlich eines Messers. Hier kann mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren das Delikt geahndet werden, in minderschweren Fällen mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, auch hier ist der Versuch strafbar. Auch die Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 StGB) käme in Betracht, wenn es sich um eine Person unter achtzehn Jahren handelt (§ 225 StGB).

Den Unterzeichnenden, die die Ausschaltung jüdischer Kassenärzte im Nationalsozialismus untersucht und dokumentiert (Skoblo, 2009) und die den ärztlichen Krankenmord im NS-Staat (Platz, 2006) untersucht haben, drängt sich die Frage auf, welche Motive das Landgericht Köln geleitet haben, ein solches abwegiges Urteil zu fällen. Geht es um den Schutz Minderjähriger, sollen Minderjährige vor gesundheitlichen Schäden bewahrt werden? Sollen Ärzte, die eine Beschneidung durchführen, gewarnt oder/und strafrechtlich belangt werden? Wobei davon auszugehen ist, dass sich das Gericht ausführlich über historische und religiöse Gründe zuvor informiert hat, dass Sachverständige, Mediziner und Religionswissenschaftler, Historiker zu Rate gezogen wurden, so dass dem Gericht bekannt war, dass es nach medizinischen Studien als erwiesen gilt, dass eine Beschneidung gesund für ein Kind ist. Ohnehin darf nach der Halacha eine Beschneidung nur durchgeführt werden, wenn ein Kind gesund ist. Es ist daher aus medizinisch-psychologischer Sicht tatsächlich interessant, welche Vorstellungen, Befürchtungen oder Ziele das Landgericht Köln dazu bewogen haben, ein solches Urteil zu fällen. Ein Urteil stellt den Schlussakt eines Denkvorganges dar, der nach Abwägen und Durchdenken aller Möglichkeiten und Nebenwege zu einer Entscheidung gelangt (Peters, 1999).

In der Psychoanalyse geht es im Wesentlichen um die Aufhellung nicht-bewusster Bedeutungen und Handlungen, auch Vorstellungen und Äußerungen. Ein Weg dahin ist ohne Kenntnis der Vergangenheit, der Bezugspersonen nicht möglich; insbesondere wenn es um Verdrängungsprozesse geht. Das sogenannte offene Verhalten des Landgerichts zeigt sich im Urteil, das innere Verhalten kann nur aus indirekt erschließbaren Verhaltensentwürfen erklärt werden, wozu es allerdings einer gezielten Exploration bedarf unter Einbeziehung der Vorgeschichte dieses Verfahrens.

Nach psychiatrischen Erfahrungen wiegen seelische Schäden oftmals schwerer als körperlich zugefügter Schaden, so dass zu fragen ist, ob das Gericht auch bedacht hat, welcher seelischer Schaden einem Kind zugefügt wird, das bewusst von seinen jüdischen Eltern nicht beschnitten wird, nicht etwa aus medizinischen Gründen, sondern aus Gründen der Ausgrenzung aus der jüdischen Gemeinschaft, zu der es sich auch vor seinem 14. Lebensjahr zugehörig fühlen möchte. Dass gerade in Deutschland Ärzte Gefahr laufen strafrechtlich belangt zu werden, weil sie eine Beschneidung aus religiösen Gründen vornehmen, hat bereits ein internationales Echo gefunden, so dass wir davon ausgehen, dass die Entscheidung des Landgerichts Köln noch nicht der Schlusspunkt sein wird.

Roman M. Skoblo, Werner E. Platz

Brit Mila, Hebron 2010Foto: Benyamin Reich

Schnittstelle

Die Beschneidung (lat. circumcido) ist ein kleiner chirurgischer Eingriff zur Entfernung der Vorhaut vom Penis. Als Ergebnis ihrer vollständigen Entfernung wird eine völlige Freilegung der Eichel erreicht. Tatsache ist, dass die Staphylokokken-Bakterien, Pilz- und Gonokokkeninfektionen der Vorhaut bei Jungen und Männern oft zu Entzündungen, Erosionen und Geschwüren bis hin zu Basal-Zell-Karzinomen, Herpesinfektionen und präkanzerösen Läsionen und sogar Plattenepithelkrebs führen können.

Etwa 20% bis 30% aller Männer weltweit (70% in den USA) sind beschnitten. Europa begleitet aber diesen Trend traditionell mit Skepsis. Trotzdem brach im Westen in den frühen 60er Jahren plötzlich ein »Beschneidungsboom« aus. Die Beschneidungen wurden zum Trend bei Säuglingen und auch bei erwachsenen Männern. Der Grund für solch eine dramatische Änderung der öffentlichen Meinung basierte auf Studien und Statistiken, die einen klaren Zusammenhang zwischen Beschneidung und dem Krebs der Fortpflanzungsorgane darlegten. Wie sich herausstellte, fanden sich solche Krankheitsbilder viel seltener bei Muslimen und wegen der frühzeitigen Beschneidung praktisch nie bei Juden. Diese Daten beeindruckten die pragmatische westliche Gesellschaft so sehr, dass US-Präsident John F. Kennedy öffentlich die Idee der Beschneidung bei Männern und Jungen förderte und sich selber für diesen Eingriff entschied. Der wesentliche Vorteil der Beschneidung – eine mögliche Prävention von Krebs der Fortpflanzungsorgane. Krebs des Penis, wie auch der Gebärmutterhalskrebs bei den Frauen erscheint vor allem dann, wenn man unbeschnittene Männer als Lebenspartner hat. Zudem verlängert die Beschneidung bei Männern die sexuelle Handlung.

Eine wirklich sensationelle Entdeckung machten australische Wissenschaftler: Nach sorgfältiger Prüfung von Art und Weise der Ausbreitung der HIV-Infektion folgerten sie, dass die Beschneidung das wirksamste Instrument gegen AIDS werden kann. Der Virus befällt vor allem die Vorhaut und den Kopf des Penis, die häufigen Mikrotraumen unterliegen, was das Risiko einer Infektion durch eine Verwundung sehr erhöht. Nach den Statistiken war eine große Mehrheit der Männer, die sich mit AIDS und anderen sexuell übertragbaren Infektionen infiziert haben, unbeschnitten. Einige Ärzte empfehlen der männlichen Bevölkerung in Regionen, wo die Ausbreitung von AIDS zu einer Epidemie geworden ist, es mit Beschneidung zu bekämpfen. Auch Herpes und Gonorrhö sind bei Unbeschnittenen zweimal, Syphilis und Pilzerkrankungen fünfmal häufiger zu finden. Nach den Statistiken amerikanischer Chirurgen, die mehr als 200.000 Männer in US-Kliniken untersuchten, wurde eruiert, dass eine Vielzahl von Infektionen der Harnwege bei nicht beschnittenen Männern elfmal häufiger auftritt als bei denjenigen, die diese Operation schon durchführen ließen. Darüber hinaus stellten amerikanische Ärzte die Häufigkeit von Krebserkrankungen des Penis in direkte Beziehung zur Beschneidung.

Beschneidung vereinfacht die persönliche Hygiene der Männer. Sie erlaubt es, nicht so viel Zeit der intimen Hygiene widmen zu müssen, dass der Genitalbereich sauberer bleibt. Bekanntlich sammeln sich unter der Vorhaut Bakterien und Mikroorganismen, die während des Geschlechtsverkehrs bei den Frauen nicht nur Irritationen und eine Verletzung der Mikroflora verursachen können, sondern auch ernstere Erkrankungen.

Nachdem nun durch das schnelle Eingreifen der Bundesregierung die Versuche der Stigmatisierung von rituellen Beschneidungen in Deutschland durch ein umstrittenes Urteil des Kölner Landesgerichtes, das noch vor zehn oder 20 Jahren völlig undenkbar war, ad acta gelegt wurden, bleibt noch folgendes zu beachten: das Risiko von Komplikationen liegt bei dieser Operation doch zwischen 0,7 bis 10% und ist sehr von der Erfahrung des Operateurs abhängig. Darum sind im Rahmen der jetzigen Beschneidungsdiskussion in Deutschland noch einmal die Pflichten und die hohe persönliche Verantwortung des Operateurs, des Arztes oder Mohels, deren Rolle nicht mit dem Ende des Aktes der rituellen Beschneidung endet, zu unterstreichen. Da es in vielen Fällen eine entgeltliche Leistung ist, sollte der Operateur gezwungen sein eine präoperative Aufklärung der Eltern und eine präzise Überwachung nach der Operation durchzuführen. Postoperative Blutungen sind leider möglich und das Erscheinen der geschockten Eltern mit dem Baby und blutigen Verbänden auf dem Arm in den Ambulanzen der Krankenhäuser bringt nicht nur die heilige Prozedur in Verruf, sondern führt zu Anzeigen und Strafprozessen (bei der derzeitigen Rechtslage ist zudem zu befürchten, dass Eltern nun Beschneidungen illegal oder im Ausland durchführen lassen).

Grundsätzlich sind alle misslungenen oder unzufriedenstellend verlaufenen Operationen aus juristischer Sicht eine Körperverletzung. Daher ist eine fachliche Kontrolle der Beschneidungen unumgänglich. Eine alte chirurgische Maxime lautet: Es gibt keine kleinen Operationen, nur kleine Operateure.

Dr. med. Boris Altschüler, Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie

 

 

 

Können Juden an einem Ort wohnen, an dem die Beschneidung verboten ist?

Das Kölner Landgericht hat entschieden, dass die Beschneidung eine Körperverletzung darstellt und wer sie vornimmt, sich strafbar macht. Können Juden an einem Ort wohnen, an dem die Beschneidung verboten ist?

Die Beschneidung ist ein Tue-Gebot der Tora und eines von drei Zeichen des Juden, die sein Judentum bezeugen. In Genesis 17:9-14 heißt es: »Und G’tt sprach zu Awraham: Und du, du sollst meinen Bund halten, du und dein Same nach dir, nach ihren Geschlechtern. Dies ist mein Bund, den ihr halten sollt zwischen mir und euch und deinem Samen nach dir: alles Männliche werde bei euch beschnitten. Ihr sollt das Fleisch eurer Vorhaut beschneiden. Das soll das Zeichen des Bundes sein zwischen mir und euch. […]. Der unbeschnittene Männliche, der am Fleische seiner Vorhaut nicht beschnitten wird, selbige Seele soll abgeschnitten werden von ihrem Volk, meinen Bund hat er gebrochen.«

Ohne den Bund der Beschneidung gibt es kein Judentum. Manche Juden achten heute nicht auf das Halten des Schabbat, das Tefilinlegen und die übrigen Gebote. Doch auf die Beschneidung verzichtet kein Jude. Sie ist das Fundament des Judentums. Ein unbeschnittener Jude ist Jude, wenn er von einer jüdischen Mutter geboren wurde, aber aufgrund einer Gefahr oder Krankheit nicht beschnitten werden konnte. Verzichtet er jedoch ohne zwingenden Grund auf die Beschneidung, so zeigt er damit, dass er auf sein Judentum verzichtet. Auf die Missachtung des Beschneidungsgebots steht die Karetstrafe, d.h. die Verbindung zwischen der betroffenen Seele und dem Ewigen sowie dem Volk Israel wird abgeschnitten.

Beschneidungsverbote hat es in der Geschichte immer wieder gegeben. Rabbi Akiwa wurde einst von Turnus Rufus, dem römischen Prokurator in Judäa, gefragt, ob die Schöpfung G’ttes oder die des Menschen vollkommener sei. Seine Frage zielte gegen die Beschneidung: Wenn G’tt den Menschen mit Vorhaut geschaffen hat, warum sollte man sie entfernen? Rabbi Akiwa ließ eine Weizengarbe und ein gebackenes Brot bringen und fragte, was vollkommener sei. Der Römer verstand. »So solltest du auch erkennen«, sagte Rabbi Akiwa, »dass der Mensch die Schöpfung

vollendet. G’tt schuf uns mit Vorhaut, damit wir uns durch die Beschneidung vervollkommnen. Die Gebote wurden gegeben, um die Geschöpfe durch sie zu läutern« (Midr Tan, Tasria 5).

Hierin liegt eine bedeutende Botschaft: Der Mensch kommt auf diese Welt, um seine Eigenschaften zu verfeinern und die Welt zu restituieren (Tikun Olam).

Wir glauben, dass jedes Gebot den Menschen heiligt, so wie wir in unseren Segenssprüchen sagen: »der uns durch seine Gebote geheiligt hat« – der Beschneidungsbund aber, der in unserem Fleisch eingraviert ist, heiligt uns jeden Tag 24 Stunden lang. Die Stelle der Beschneidung ist verantwortlich dafür, neues Leben auf die Welt zu bringen, und gerade hier wird der Mensch Partner des Ewigen. Die Eltern geben ihrem Kind den Körper und der Ewige gibt die Seele. Der Bund erfolgt an dieser Stelle, um den Menschen zu einem Leben in Heiligkeit und Reinheit sowie zum Fortführen der jüdischen Familie auf der Basis der Tora aufzuwecken.

Das Unterlassen der Beschneidung ist eine Verletzung des Neugeborenen! Die Tora legte den achten Tag fest, weil es der beste Zeitpunkt ist. Das Kind hat nun die Heiligkeit des Schabbat bekommen und ferner den optimalen Gesundheitszustand für die Beschneidung erreicht, was von Wissenschaftlern bestätigt wird. Auch die WHO empfiehlt die Beschneidung.

Wir sind überzeugt, dass die deutsche Regierung, die an dem Fortbestehen der jüdischen Gemeinschaft interessiert ist, für eine gesetzliche Lösung, die im Einklang mit der Religionsfreiheit steht, sorgen wird. Wir werden fortfahren, unsere Söhne zu beschneiden, und Sie bezeugen Ihr Einverständnis, indem auch Sie an Ihren Söhnen das Beschneidungsgebot ausüben.

Rabbiner Jitshak Ehrenberg