Beitragssuche

Datum / Zeitraum:
Beitragsart:
Kategorie:

Zwei Stimmen gegen das Vergessen sind verstummt

01.April 2022 | Beiträge – jüdisches berlin | Menschen, Gesellschaft

Am 9. März verstarb Inge Deutschkron sel.A., in der Nacht vom 13. auf den 14. März ist Leon Schwarzbaum sel.A. von uns gegangen.

Inge Deutschkron wurde am 23. August 1922 in Finsterwalde geboren, und überlebte die Nazi-Zeit in Berlin. Von 1941 bis 1943 arbeitete sie in der Blindenwerkstatt von Otto Weidt, der sie vor der Deportation bewahrte. Ab 1943 versteckte sie sich und lebte – unterstützt von einem Netzwerk von Helfern – illegal, ständig in der Furcht, von Nazis entdeckt zu werden.
Über den Umgang Deutschlands mit der NS-Zeit nach 1945 sagte sie am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus 2013: »Menschen im Nachkriegsdeutschland sagten zu mir: »So vergessen sie doch«, wenn sie mich nicht anders zum Schweigen bringen konnten. »Sie müssen doch auch vergeben können«, meinten sie. »Es ist doch schon so lange her.« Die meisten, denen ich (…) begegnete, hatten sie einfach aus ihrem Gedächtnis gestrichen, die Verbrechen, für die der deutsche Staat eine eigene Mordmaschinerie hatte errichten lassen und sie es geschehen ließen.«
Aufgrund dieses kollektiven Vergessens veröffentlichte sie 1978 ihre Autobiografie »Ich trug den gelben Stern«, die auch Dank deren Bühnenadaption »Ab heute heißt du Sara« weltweit bekannt wurde.  
Wir schließen uns der Würdigung des Internationalen Auschwitz-Komitees an: »Ihre Fähigkeit und ihr Wille, immer wieder ihre Geschichte und die Geschichte der Verfolgung so vieler jüdischer Menschen in der Nazizeit zu erzählen und an die zu erinnern, die diesen Menschen in ihrer Not geholfen hatten, beeindruckte Generationen von jungen Menschen zutiefst«. Yehi Sichra Baruch.
Leon Schwarzbaum, am 20. Februar 1921 in Hamburg geboren, wuchs im polnischen Będzin auf und überlebte als Einziger seiner Familie die Shoah. Er selbst wurde erst nach Auschwitz deportiert, musste von dort kurz vor Kriegsende auf »Todesmärsche« erst nach Buchenwald, später nach Sachsenhausen. 
Nach einem Intermezzo in den USA kehrte Schwarzbaum nach Berlin zurück und führte einen Antiquitäten- und Kunsthandel. Erst im hohen Alter sah er sich im Stande, über das Geschehene zu berichten, so im Dokumentarfilm »Der letzte Jolly Boy«. 
Es wurde ihm wichtig zu sprechen. Vor fast sechs Jahren sagte er bei einer Gedenkveranstaltung in der Synagoge Pestalozzistraße: »Je älter ich werde, desto mehr muss ich an das Geschehene denken. Ich (…) träume häufig davon. Warum haben diese Menschen so etwas getan? Warum haben so viele mitgemacht, was war der Grund oder die Motivation? Das möchte ich gerne wissen. Warum so viele Millionen Juden, Sinti, Roma und andere Menschen ermordet wurden.«
Er sagte in Prozessen gegen SS-Männer aus und hätte auch im Verfahren gegen einen mutmaßlichen früheren Wächter des KZ Sachsenhausen ausgesagt. Kurz vor dem Termin verstarb Leon Schwarzbaum.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier würdigte Leon Schwarzbaum  mit den Worten: »Mit Leon Schwarzbaum verlieren wir einen großartigen Menschen und einen bedeutenden Zeitzeugen. Leon Schwarzbaum hat selbst erfahren, was es heißt, wenn Menschenrechte und Menschenwürde von einem verbrecherischen Regime außer Kraft gesetzt werden.« Yehi Sichro Baruch.

Zwei Stimmen gegen das Vergessen sind verstummt