Friedhof Schönhauser Allee

Vom Senefelderplatz aus gabeln sich zwei Ausfallstraßen. Die Bebauungspläne ließen wie so oft in der Stadt eine dreieckige Restfläche zurück. Hier beginnt ein magischer Bezirk, in dessen Innern eine aufgelassene, verlorene Straße verläuft, öffentliches Straßenland nach dem Kataster, entlang der Friedhofsmauer des 1827 angelegten jüdischen »Orts der ewigen Ruhe«, versteckt hinter den Gartenhäusern der gründerzeitlichen Mietshäuser in der Kollwitzstraße. Zwei offene Davidsterne an einem hohen dunklen Tor am Kollwitzplatz gestatten einen Durchblick in den »Judengang« (auch »Communikation« genannt), 7,50 Meter breit, 400 Meter lang, der sich, vormals von einer zweiten parallelen Mauer begrenzt, entlang der Friedhofsmauer erstreckt. Der geheimnisumwobene Totenpfad entstand ebenfalls um 1827 als östlicher Hintereingang – der Legende nach auf Anordnung des Preußenkönigs, der auf dem Weg vom Stadtschloss nach Pankow und zum Schloss Niederschönhausen nicht von den armseligen Trauerzügen der notleidenden Ostjuden aus dem Scheunenviertel belästigt werden wollte. Denn derart prächtige Kondukte wie den für Giacomo Meyerbeer im Mai 1864 gab es eher selten. Meist boten die jüdischen Leichenzüge, die vom Schönhauser Tor heraufkamen und denen die armen Schlucker und Schnorrer von der Schendelgasse, Hirten-, Dragoner- und Grenadierstraße in großer Zahl folgten, einen rechtschaffen traurigen Anblick.

Seit den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurden Teile des Begräbnisweges als Hausgärten der Anlieger parzelliert und in girlandenumsäumte, lampionbestückte Feierabendidyllen mit ausrangiertem Mobiliar zur friedlichen Nutzung an lauen Berliner Sommerabenden umfunktioniert; der Rest verwahrloste. In jüngster Zeit ist der Weg wiederhergestellt worden; das Tor, das auch früher nur für Beerdigungen geöffnet wurde, bleibt jedoch auch weiterhin verschlossen. »Haus des Lebens« nennen Juden ihre Friedhöfe mit der immerwährenden Grabruhe. Ein jüdischer Friedhof darf niemals aufgelöst oder aufgegeben werden. Die Totenruhe ist im jüdischen Glauben ewig. Das macht Grabschändungen so besonders verwerflich. Das magische Dreieck zwischen Schönhauser Allee, Kollwitz- und Knaackstraße birgt unter Efeu, Ahorn, Linden und Kastanien nahezu 25 000 Gräber, hell im Winter, dunkel im Sommer, ein lebendiges Geschichtsbuch über jüdisches Leben und Berliner Kultur, veranschaulicht in erhabenen, kostbaren Grabmälern. Und wieder ein Dreieck bilden die unter Blattwerk hügelig verschwundenen Gräber der Namenlosen aus dem Scheunenviertel. Am Ort des Friedhofs befanden sich früher eine Brauerei und Meierei, noch heute finden sich die Reste von Zisternen auf dem Gelände. In einer der Zisternen, so wird überliefert, versteckten sich junge Deserteure in den letzten Kriegswochen des Jahres 1945; von der Gestapo entdeckt, wurden sie an den riedhofsbäumen erhängt. (»Den Tod anderer nicht zu wollen, das war ihr Tod«, ist auf einer Gedenktafel zu lesen.) Die letzten hier Begrabenen sind Vera Frankenberg, ein 1945 auf dem Friedhof von einer Granate tödlich getroffenes junges Mädchen, und Martha Liebermann, die Frau des Malers Max Liebermann. In Erwartung der Deportation gab sie sich 1943 den Tod. Erst 1960 wurde sie von Weißensee neben ihren 1935 verstorbenen Mann hierher umgebettet. Nachdem der erste und älteste jüdische Friedhof in der Großen Hamburger Straße 1827 geschlossen worden war, erwarb die Jüdische Gemeinde das Gebäude und richtete hier an der damaligen Pankower Chaussee ihren zweiten Begräbnisplatz ein. Links vom Haupteingang befanden sich die Trauerfeierhalle sowie die für den Friedhofsbetrieb notwendigen Zweckbauten. Anstelle der zerstörten Gebäude steht heute ein 1961 nach einem Entwurf von Ferdinand Friedrich aus Sandsteinquadern errichteter Gedenkstein: »Hier stehst du schweigend, doch wenn du Dich wendest, schweige nicht!« Derzeit wird ein neuer Friedhofseingang gebaut. Obwohl Bildnisse auf jüdischen Gräbern unüblich und unerwünscht sind, findet man doch drei Porträts: der 1876 jung verstorbenen Sophie Loewe, deren Grabmal als Pyramide ausgebildet ist, des 1895 verunglückten Paul Model sowie des 1910 verstorbenen Berthold Kempinski. Auf dem Friedhof befindet sich auch das Grabmal für den achtzehnjährigen Alexander Goldmann und den einundzwanzigjährigen Simon Barthold, die nach dem 22. März 1848 ihren Verletzungen erlagen. Die Jüdische Gemeinde gedachte hier 1998 anlässlich des 150. Jahrestages der Märzrevolution ihrer Opfer. Die anderen jüdischen März-Gefallenen wurden im Friedrichshain bestattet. Das Denkmal für die gefallenen jüdischen Soldaten der Kriege 1866 und 1870/71 ist als Obelisk mit aufgesetzter Kugel gestaltet. Lang ist die Liste bedeutender Wissenschaftler, Unternehmer, Schriftsteller, Gelehrter und Künstler, die auf diesem Friedhof beerdigt sind.

Gräber einiger bekannter Persönlichkeiten:

  • Jakob Liepmann Meyer Beer, der sich ab 1822 den Künstlernamen Giacomo Meyerbeer gab, der Schöpfer der Opern Die Hugenotten und Die Afrikanerin. 1791 in Berlin geboren, verstarb er 1864 in Paris, wurde aber seinem letzten Willen entsprechend von dort aus in seine Heimatstadt überführt und in der 1850 angelegten Grabstätte der Familie Beer beigesetzt.
  • Wohl am häufigsten aufgesucht wird das Grab Max Liebermanns. Als der langjährige Präsident der Akademie der Künste und Ehrenbürger Berlins am 11. Februar 1935 beigesetzt wurde, standen die Zeichen für die Juden in Berlin schon auf Sturm und Verfolgung. Nur 38 Trauergäste trugen sich in die Kondolenzlisten ein.
    Staatliche Vertreter und Funktionäre der gleichgeschalteten Künstlervereinigungenn erschienen nicht zu seiner Beisetzung.
  • In den insgesamt 22 500 Einzelgräbern und 750 Familiengrüften fanden so viele bekannte Persönlichkeiten ihre letzte Ruhe, dass es unmöglich wäre, sie alle aufzuzählen. Die Verleger Leopold Ullstein und Albert Mosse sind hier ebenso beigesetzt wie James Henry Simon, der Kunstsammler und Mäzen, Joseph Mendelssohn, der Bankier, Ludwig Loewe und Georg Haberland, die Unternehmer, David Friedländer, der Vorkämpfer der Juden-Emanzipation und erster jüdischer Stadtrat, Bernhard (Benda) Wolff, im Jahre 1849 Gründer der ersten deutschen Nachrichtenagentur (»Wolffs Telegraphen-Bureau«) – und schließlich Gerson von Bleichröder, der als Bankier der preußischen Krone und Finanzberater des Reichskanzlers zu den wichtigsten Finanziers der Bismarck’schen Politik gehörte.

Der Friedhof wurde 1880 offiziell zugunsten des Friedhofs Weißensee geschlossen; gleichwohl fanden bis 1942 und auch nach 1945 Beisetzungen in vorhandenen Familiengräbern statt. In der Nazizeit wurde er nicht gezielt zerstört, aber durch Kriegseinwirkungen teilweise beschädigt. Viele bedeutende Persönlichkeiten des Berliner Judentums sind überdies auf protestantischen Kirchhöfen bestattet.

Quelle: "Jüdische Orte in Berlin", Andreas Nachama/Ulrich Eckhardt
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Adresse & Kontakt

Friedhof Schönhauser Allee

Schönhauser Allee 22
10435 Berlin
Tel.: (0 30) 441 98 24

Öffnungszeiten

Öffnungszeiten

Mo - Do 8:00 - 16:00 Fr 7:30 - 13:00

Schabbat (Samstag), Sonn- und Feiertage

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