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Gemeinschaft fördern

01.März 2013 | Beiträge – jüdisches berlin | Aktivitäten

In Berlin gibt es immer mehr Möglichkeiten, Kabbalat Schabbat zusammen zu feiern

Am Freitagabend, nach dem Gottesdienst in der orthodoxen Synagoge an der Joachimstaler Straße stürmen Gemeindemitglieder und Gäste einige Treppen des historischen Gebäude hoch, das sich in einem Innenhof fernab der Straße befindet. Am Ende der Treppe eine offene Tür zu einem Raum, in dem Tische festlich mit Tischdecken und Körben voller Challot drapiert sind – für ein Schabbatessen. Für ein Essen einer großen, sehr großen Familie von etwa 60 Personen. Nun ja, »Familie« nicht im eigentlichen Wortsinn. An diesem Abend sitzen an den Tischen Stammgäste aus der Jüdischen Gemeinde, Gäste einer amerikanisch-jüdischen Organisation, Singles unterschiedlichen Alters, ein oder zwei Journalisten und einige Kleinkinder als zusätzliche Unterhaltung.

Jede Freitagnacht mehr oder weniger dasselbe – neue Gesichter, alte Gesichter. Die Konstante: Rabbiner Yitshak Ehrenberg und seine Ehefrau Nechama als Kopf der Gesellschaft. Nach dem Kiddusch und Motzi wird eine Reihe Vorspeisen serviert, danach kann man sich am Buffet mit einer heißen Fleischmahlzeit bedienen, einem 4-Gänge-Menü, vorbereitet vom Koch Jacek. Zwischendurch setzt Kantor Ari Zaloshinsky mit Semiroth ein und die hier versammelte »mischpacha« schließt sich an. Dazu werden wenigstens drei sehr kurze Dwar Tora zwischen den Mahlzeiten vorgetragen. »Dann fängt normalerweise mein Baby an zu weinen«, sagt die frischgebackene Mutter Daniela Kalmar-Schönberger lachend. Alles in allem also eine festliche Schabbat-Atmosphäre. Jede Freitagnacht wird so zu einem Feiertag.

Daniela und ihr Ehemann Daniel Schönberger waren, seit sie letzten März aus Köln hergezogen sind, von der Atmosphäre der Synagoge so eingenommen, dass sie begannen, bei anderen jungen Leuten für die Teilnahme am Kabbalat Schabbat-Tisch zu werben.

»Gefallen haben uns die privaten Schabbatdinner, die der Rabbiner organisierte und an die man sich anschließen konnte«, sagte Daniela. Aber »als junges Paar waren wir leider in der Minderheit, was unsere Altersgruppe angeht.« Deswegen boten sie Rabbiner Ehrenberg an, ihn bei der Organisation des Schabbatdinners zu unterstützten. »Dafür hat er uns erlaubt, auch unsere Freunde einzuladen.«


Alles bereit für die Freitagabendgäste

Alles bereit für die Freitagabendgäste

»Bis zu 130 Gäste können hier sitzen«, so Rabbiner Ehrenberg, der insbesondere den Brüdern Sidney und Yves Jachimowicz für die Renovierung der Küche dankbar ist. Seit etwa vier Jahren finden diese Freitagabendessen statt. Die Kosten sind zum Teil durch Spenden von Gemeindemitgliedern gedeckt, zum Teil werden sie von den Gästen, die pro Kopf 25 Euro für die Mahlzeit bezahlen, finanziert (zahlbar im Voraus im Café Bleiberg an der Nürnberger Straße 45a oder per Überweisung nach vorheriger Anmeldung unter events.for.jews@gmail.com). »Menschen, die nichts haben oder andere junge Leute können auch umsonst teilnehmen oder bezahlen, was sie leisten können«, betont der Rabbiner.

Diese Essen in der Joachimstaler Straße sind eine der Möglichkeiten, gemeinschaftlich einen Schabbat in Berlin zu begehen. Aber es gibt noch andere:

In der Synagoge Oranienburger Straße werden öfter Freitagabendessen durch liberale junge Juden von »Jung und Jüdisch« veranstaltet oder auch durch Besuchergruppen amerikanischer Juden. In der Synagoge Pestalozzistraße werden Kidduschim durch deren Mitglieder spendiert und mehrfach im Jahr ein Kabbalat Schabbat, der im Kidduschraum der Synagoge oder im Gemeindehaus stattfindet, bekanntgegeben durch den Newsletter der Synagoge und eine Facebook-Gruppe.

Auch bei Chabad in der Münsterschen Straße kann man jeden Freitagabend essen. Und Ohel Hachidusch organisiert regelmäßig Zusammenkünfte, an denen jeder Teilnehmer selbst etwas mitbringt. Die Liste ließe sich fortführen. Vielen geht es darum, neue, junge Mitglieder für ihre Synagogen zu werben und den gemeinschaftlichen Aspekt zu fördern.

Daniel Laufer, ein Beter der Synagoge Rykestraße, mit seinen 37 Jahren einer der jüngsten Gabbaim in Berlin, veranstaltet mit den Gabbaim der Synagoge Fraenkelufer gemeinsame Freitagabendessen, so dass Beter beider Synagogen sich treffen können. Während in der Rykestraße jeder Teilnehmer selbst etwas zum Dinner beiträgt (bitte vorher mit dem Gabbai absprechen), wird von der Synagoge am Fraenkelufer am ersten Freitag des Monats ein Mahl vorbereitet, das normalerweise durch einen Beter gesponsert wird. »Die Idee zum Kiddusch im Fraenkelufer ist letztes Jahr zu Rosch Haschana entstanden, als die Synagoge ganz voll war«, erklärt Nina Peretz. »Wir wollten einen familienfreundlichen Kiddusch.« Der wurde von Betern initiiert und vom Gabbai Grigorij Kristal unterstützt. »Jeder, der möchte, ist herzlich eingeladen« – man konsultiere die dazugehörende Facebook-Gruppe.

»Es geht nicht alleine darum, ein Essen zu offerieren, sondern auch Menschen zu einer größeren Aktivität zu motivieren«, so Laufer von der Rykestraße, dessen »Kiddush Club« immer am letzten Freitag im Monat zusammenkommt und ebenfalls über Facebook erreichbar ist. »Da wächst einfach so eine neue Gemeinschaft heran«, sagt er.

Rabbi Ehrenberg kennt das alles: Vier neue Verlöbnisse sind in letzter Zeit aus den Begegnungen beim Kabbalat Schabbat in der Joachimstaler Straße entstanden. Denn: »Es ist sehr nett hier: Es gibt drei, vier Stunden, wo man sich unterhalten und kennenlernen kann«, so der Rabbiner.

Danielas und Daniels Beziehung zur Joachimstaler Straße ergab sich aus Daniels Job im Crowne Plaza Hotel. Rabbiner Ehrenberg gibt dort die Haschgacha für das koschere Frühstück und erfuhr so, dass immer mehr Gäste nach einer Möglichkeit fragten, am Schabbat koscher zu essen. »Rabbiner Ehrenberg war auch immer bereit, auf unsere Bedürfnisse als junge Menschen einzugehen«, so Daniela, »und wir hoffen, dass auch dank immer mehr junger Menschen unsere freitäglichen Dinner wachsen werden.«

Auch Sue Weisz ist eine der regelmäßigen Besucher der Joachimstaler Straße. »Da ich keine Familie habe ist es schön, dass es einen Platz gibt, an dem man die Woche mit einem Kabbalat Schabbat beenden kann«, so die 36-jährige Biologin mit Wurzeln in Berlin und Brasilien. Auch diese Freitagnacht sitzt Weisz mit Freunden und neuen Gästen zusammen und stößt mit ihnen an.

Sue erfreut sich daran, die kleine Tochter von Daniel und Daniela zu halten. Bella Adele kann oft auf ihrem Schoss angetroffen werden. Das Baby hat sich an das fröhliche Gelächter und den Gesang gewöhnt und scheint doch immer auch ein bisschen erschrocken, wenn es aufgrund der Dwar Tora still um sie wird. »Nach der Geburt unsere Kindes war es eine enorme Erleichterung, dass wir am Schabbat wo hin gehen konnten. Dies hat uns als Eltern sehr entlastet«, erklärt Daniela. »So mussten wir uns nur noch um jemanden kümmern, der uns den Kinderwagen von der Synagoge nach Hause schiebt und ich musste nicht den ganzen Tag in der Küche mit Vorbereitungen verbringen!«

Für die Ehrenbergs selbst ist ein Schabbatabend in Zweisamkeit eine Ausnahme. »Natürlich wollen wir auch mal alleine sein«, gibt Rabbiner Ehrenberg zu. »Aber unser Kabbalat Schabbat ist wie Familie!«

Toby Axelrod