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Vom Pazifik bis nach Nordafrika

01.Mai 2013 | Beiträge – jüdisches berlin | Gedenken

1,5 Millionen Juden kämpften als Soldaten alliierter Armeen gegen Hitlerdeutschland


Lionel Cohen, der älteste aktive Pilot der Royal Air Force, der an 70 Kampfeinsätzen über dem Atlantik teilnahm, der in Indien geborene Jacob Jacob, der im Fernen Osten gegen Hitlers japanische Verbündete kämpfte, der als Pole aus der Sowjetarmee entlassene Benjamin Siegel, der mit einem polnischen Infanterieregiment an der Eroberung Berlins beteiligt war, die Moskauer Kampfpilotin Lydia Litwak, die 22-jährig tödlich abgeschossen wurde, Tuvia Bielski, der mit seinen drei Brüdern einen zähen und erfolgreichen Partisanenkampf gegen die deutschen Besatzer in Weißrussland führte, der New Yorker Drehbuchautor Hermann Wouk, der bei der Landung auf sieben Pazifikinseln dabei war, Reuben Herscovitz, der als »Special Operator« die deutsche Flugkontrolle mit in seinem Bomber eingebauten Störsendern lahmlegte, der norwegische Pilot Jo Benkow, der nach dem Krieg unter anderem Parlamentspräsident Norwegens war, die Pariserin Denise Bloch, die über dem besetzten Frankreich absprang, um Bahngleise zu sprengen und die im KZ Ravensbrück ermordet wurde, der in Algerien geborene José Aboulker, der mit 400 Widerstandskämpfern die Mobilmachung der Vichy-Truppen in Algier verhinderte, Salomao Malina, der als Mitglied des brasilianischen Expeditionskorps in Italien Breschen in feindliche Minenfelder schlug, oder die Panzerbrigadekommandeure Abram Temnik und Jewsej Weinrub, die den Angriff auf den Reichstag anführten.

Ärmelaufnäher der Jüdischen BrigadeJose AboulkerDenise BlochJacob JacobBenjamin Siegel

Sie alle haben eines gemeinsam: Sie waren Juden und kämpften gegen Hitlerdeutschland. Und sie alle (und etliche mehr) werden in der unlängst bei Hentrich & Hentrich in Berlin erschienenen Miniatur »An allen Fronten. Jüdische Soldaten im Zweiten Weltkrieg« von Wladimir Struminski mit Kurzbiografien und Fotos vorgestellt.

Manchen Leser mag das erstaunen, ist doch der Mythos von den jüdischen Drückebergern und den Juden, die sich wie Lämmer hätten zur Schlachtbank führen lassen, noch immer nicht ganz verklungen. Denn anders als die Schoa selbst gehört die Geschichte der jüdischen Soldaten in den alliierten Armeen zu den weniger bekannten und erforschten Kapiteln des letzten Krieges. Und doch waren unter den 70 Millionen Weltkriegssoldaten, die gegen die Achsenmächte kämpften, anderthalb Millionen Juden. Die meisten von ihnen, 550000, dienten in der US-Armee (4,5 % der Bevölkerung), 500000 in der Roten Armee (1,5% der Bevölkerung) und 180000 in den polnischen Streitkräften (10% der Bevölkerung). Aber auch in der kanadischen, französischen, griechischen, südafrikanischen und britischen Armee (vor allem im Mandatsgebiet Palästina) war die jüdische Beteiligung hoch. Hinzu kamen über 90000 jüdische Partisanen und Untergrundkämpfer.

Die 10000 deutschen Juden, die vor allem im amerikanischen und britischen Militär dienten, waren besonders motiviert – ihre Eltern, ihre Familien befanden sich meist noch in Deutschland, mitten im Auge des Bösen, oder waren bereits ermordet worden. Aufgrund ihrer Sprachkenntnisse und kulturellen Vertrautheit wurden sie vor allem im Nachrichtendienst, als Übersetzer und bei Gefangenenbefragungen eingesetzt, oder wie die »Special Interrogation Group« als falsche deutsche Soldaten.

Die Juden in der Sowjetarmee wurden nicht in eigenen Brigaden zusammengefasst. Ihre Situation unterschied sich von der in anderen Armeen. Die sowjetische Führung ließ Auszeichnungen für Juden nur begrenzt zu und verschwieg, wenn möglich, auch deren Kampferfolge und Mut. Viele jüdische Rotarmisten verschwiegen auch von sich aus ihre Herkunft, denn bei einer Gefangennahme durch die Deutschen wurden sie in der Regel sofort erschossen. Bis zu 40% der 200000 jüdischen Gefallenen in der Roten Armee sind nicht im Kampf gestorben, sondern nach der Gefangennahme ermordet worden.

Ähnlich wie den jüdischen Rotarmisten erging es polnischen Juden in deutscher Gefangenschaft. Dennoch drängten sie massenweise in die polnischen Exiltruppen, wenn man sie ließ. Die in der Sowjetunion aufgestellte Anders-Armee beispielsweise verweigerte Juden den Zutritt, während diese in der polnischen Westarmee in Frankreich 17% aller Soldaten stellten.

Juden kämpften im Pazifik, landeten in der Normandie, vertrieben die Wehrmacht aus Nordafrika und Stalingrad, operierten in jugoslawischen Wäldern und waren in der französischen Résistance aktiv – wie die Juive de Combat, deren Kämpfer mit Davidsternarmbinde sogar deutsche Militärzüge »kidnappten«…

Als der Krieg endlich vorbei, war das für viele jüdische Soldaten noch nicht das Ende des Einsatzes. Denn drei Jahre später begann der israelische Unabhängigkeitskrieg. In ihn zogen 110000 jüdische Soldaten, davon 30000 Auslandsfreiwillige. Letztere waren von unschätzbarem Wert. Mit ihren im Weltkrieg gewonnenen militärischen und taktischen Erfahrungen stärkten sie die vorhandenen paramilitärischen Organisationen, die zuvor jüdische Ortschaften vor arabischen Überfällen geschützt oder die britische Mandatsherrschaft mit Störaktionen geschwächt hatten, aber keine ausgebildeten Militärs waren. Das »Know How« der jüdischen Auslandssoldaten wurde zu einer kriegsentscheidenden Größe im Unabhängigkeitskrieg. »Der Sieg war ein psychologischer Befreiungsschlag – nicht nur für die Kämpfer, sondern für die jüdische Welt insgesamt«, schreibt der Autor des lesenswerten Büchleins. Diese jüdischen Soldaten hätten den Worten »Nie wieder« einen tiefen, historischen Sinn gegeben.     

Judith Kessler